Artikel vom 30.12.2005, © Nordkurier.de
Provinzielle Kritiker Lügen gestraft
Von Detlef Stapf

Schwerin. Die frühere Direktorin der Rostocker Kunsthalle, Annie Bardon, ist im Alter von 59 Jahren in einer Schweriner Klinik einem Krebsleiden erlegen. Die Kunstwissenschaftlerin war nach Aufgabe ihres Amtes in der Hansestadt 1999 medial nicht mehr so präsent, spielte aber für die Förderung der zeitgenössischen Kunst in Mecklenburg-Vorpommern eine bemerkenswerte Rolle. Für viele Künstler und Galeristen, denen die nahe Schwerin lebende Französin mit deutschem Pass als streitbare Begleiterin und Förderin galt, ist ihr Tod ein schmerzlicher Verlust.
Als Mitglied des Beirates zur Vergabe von Stipendien sowie zur Entscheidung über die Kunstankäufe des Landes hatte die profilierte Kunsthistorikerin wohltuenden Einfluss auf kulturelle Entwicklungen genommen. Sie war immer wieder als Jurorin, Publizistin und Gutachterin gefragt. Gerade erst hat man sie in die Jury für den neuen in Neubrandenburg angesiedelten Kunstpreis der Mecklenburgischen Versicherungsgruppe für Bildende Kunst in Mecklenburg-Vorpommern berufen. Ihren letzten öffentlichen Auftritt hatte Annie Bardon als Laudatorin auf Schloss Plüschow bei der Ausstellung des Greifswalder Malers Sven Ochsenreither, der in diesem Jahr mit dem renommierten Kunstpreis des Energiekonzerns Vattenfall geehrt wurde. Diese Auszeichnung gilt als Beispiel, wie die Förderin aus Überzeugung Künstlern aus dem Land überregionale Geltung verschaffte.
Zu den Künstlern, um die sie sich in den vergangenen Jahren besonders gekümmert hat, zählen Klaus Walter, Mike Strauch, Miro Zahra, Udo Radtke, Julia Körner, Reinhard und Iris Thürmer oder Bernd Engler. Miro Zahra, mit der sie im Sommer in Wismar das Projekt „Zum Wasser – ins Licht“ realisierte, sagte gestern: „Sie wird mir fehlen nicht nur als Freundin, sondern als streitbares Gegenüber, als geistige Begleiterin meiner künstlerischen Arbeit und uns allen als wichtige Verbündete in Sachen Kunst und Kultur in diesem Land.”
Das Leben der Annie Bardon im deutschen Nordosten ist aber auch eine tragische Geschichte. Die vormalige Leiterin der Kunsthalle Reutlingen und stellvertretende Leiterin der Kunsthalle Nürnberg war 1991 nach Rostock gekommen, um das Haus am Schwanenteich mit skandinavischer Kunst und Klassischer Moderne als europäisches Museum zu profilieren. Trotz ständig sinkender Finanzausstattung und Einschränkung von Kompetenzen sind wichtige Ausstellungen – unter anderem eine großartige Biennale – zustande gekommen. Die letzte Schau unter der Regie der an der Pariser Sorbonne ausgebildeten Skandinavien-Expertin „Edvard Munch in Warnemünde“ zählte über 10 000 Besucher. Es gab aber 1994 auch die Präsentation der Avantgarde-Bestände der berühmten Sammlung Shyl aus Malmö, die in der Öffentlichkeit skandalisiert wurde. Der Berliner Maler Mark Lammert erfuhr sogar einen Boykott seiner Vernissage.
Auf dem Rücken von Annie Bardon versuchte eine provinzielle Lobby mit der Stadt einen kulturpolitischen Streit auszutragen. 1997 erhob Reinhard Linde in einem Offenen Brief den Vorwurf, Bardon unterdrücke Regionalkunst und sei „mit schuld am sozialen Elend der Künstler“. In einer dazu geführten Podiumsdiskussion gipfelten die Angriffe des Kühlungsborner Historikers unter Beifall in der Frage: Kann eine Ausländerin ein großes norddeutsches Museum leiten? Rostock hatte nun sein „intellektuelles Lichtenhagen“. Eine durch den Linde-Brief initiierte Leserdiskussion in der Ostseezeitung empfand Annie Bardon als „schlimmen Populismus“ und dachte schon da ans Aufgeben.
Als die Kunstwissenschaftlerin im September 1999 wegen nicht mehr zu überbrückender Differenzen in der Konzeption der Kunsthalle kündigte, war ihr die Arbeit in der Hansestadt unerträglich geworden. Das über Jahre von ihr vorangetriebene Projekt einer Ausstellung zur Rostocker Malerin Kate Dien-Bitt wurde Ende 1999 in Rostock perfiderweise als Neuanfang in der Nach-Bardon-Ära akzentuiert. Die Hansestadt hatte die große Chance, aus dem musealen Provinzialismus herauszukommen, mit dem Abgang der renommierten Kunsthallenleiterin weitgehend vertan.
Als wollte sie ihre Kritiker Lügen strafen, hat Annie Bardon in Mecklenburg eine Wahlheimat gefunden und mehr als jeder andere für die Förderung der zeitgenössischen Kunst im Land getan. Sie zeigte, dass dies eine Ausländerin sehr gut kann. Wohl auch, weil sie den Ausnahmezustand, in den Kunst hierzulande geraten kann, an der eigenen Seele gespürt hat.

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