Digerati, Infoprolls - und Kevin sitzt im Knast.

<...

>Dauererregung< und >Gegenwart< sind Schl¸sselbegriffe zum Verst”ndnis einer kulturellen Logik, die heute in allen Bereichen des menschlichen Lebens an Bedeutung gewinnt. Sie tritt im Zusammenhang mit neuen Kulturtechniken auf, die den Erwartungshorizont in das n”chste Jahrhundert erweitern und ebenso unseren Blick auf das Entstehen von Ideenevolutionen in der Vergangenheit sch”rfen. Die Namen reichen von den Pyrrhonisten ¸ber Kant bis Nietzsche; von den Gestaltpsychologen bis zu Piaget und der kognitiven Psychologie usw. Was heute l”ngst zur Bew”ltigung unserer Alltagspraxis geh–rt, wurzelt im tiefgreifenden Paradigmenwechsel der sog. >Probabilistischen Revolution< des 19. Jahrhunderts, die die Wahrscheinlichkeit und den Zufall in der Natur zu ihrem Gegenstand machte und in die div. Disziplinen einf¸hrte. Die Relevanz dieser Sichtweise gewann aber erst in der sog. Kopenhager Deutung des quantenphysikalischen Indeterminismus voll an Bedeutung. Die Quantenmechanik ist heute die Grundlage f¸r fast die gesamte aktuelle Wissenschaft und Technologie. Sie bestimmt das Verhalten von integrierten Schaltkreisen, die wesentlichen Bausteine elektronischer, computervermittelter und post-biologischer Systeme und bildet ebenso die Basis der modernen Chemie und Biologie.

1

Zwischen der Textstelle aus Nietzsches f¸nftem Buch aus ªDie Fr–hliche Wissenschaft´, mit dem Titel ªWir Furchtlosen´, "in der Tat, wir Philosophen und >freien Geister< f¸hlen uns bei der Nachricht, daþ der >alte Gott tot< ist, wie von einer neuen Morgenr–te angestrahlt (...) endlich d¸rfen unserer Schiffe wieder auslaufen, auf jede Gefahr hin auslaufen, jedes Wagnis des Erkennenden ist wieder erlaubt, das Meer, unser Meer, liegt wieder offen da" und einer anderen Textstelle aus ªProbability Pipeline´ von den Autoren Marc Laidlaw und Rudy Rucker, liegen immerhin zirka 100 Jahre, das Lebensgef¸hl, daþ sie vermitteln ist aber un¸bersehbar identisch: "Auf der anderen Seite des galaktischen Rads befand sich eine gleiþende Gestalt im selben Raum. Sie kam geradewegs auf sie zu. Reiter auf den Gezeiten der Nacht, Schnitzer von Schwarzlochstr”nden und Neutronenr–hren. Tief geb¸ckt auf seinem leuchtenden Brett - elegant, gelassen, nicht menschlich...>Mann< rief Jen, >Gott ist Surfer!<" (Ebendiese: Probability Pipeline. In: Synergy 2, San Diego 1987)

Also, etwa 100 Jahre nach der Feststellung von Nietzsche, daþ der >alte Gott tot< ist, findet die Auferstehung eines >neuen Gottes< als Surfer statt. Wurde der Mensch laut Bibel nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, so ist es nur folgerichtig, daþ die Vorstellung von Gott immer wieder upgedatet werden muþ. Nach aktuellem Wissensstand k–nnte man Nietzsches Feststellung >Gott ist tot< in etwa interpretieren, als Abkehr an die Verheiþungen im thermodynamischen Gleichgewicht - das ja physikalisch Totsein bedeutet - und als Hinwendung zum >chaotischen Attraktor< in dynamisch-komplexen Systemen. Nicht zuf”llig lautet ein anderer oft zitierter Ausspruch von Nietzsche: "Man muþ noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern geb”ren zu k–nnen."

Nietzsche postulierte - und zwar gegen den nur historisch wissenden und erinnernden Geist a¥ la Hegel, gegen einen bloþ positivistischen Wirklichkeitsbegriff - einen relativierenden Perspektivismus mit der Kategorie des >Jetzt<, um damit kulturell produktiv zu werden. Nietzsche legt damit schon den Strang vor, an dem Walter Benjamin, die Dadaisten und die Surrealisten mit der modernen Wiederentdeckung der Romantik - sebstredend unter ge”nderten Vorzeichen - anschlieþen werden.

"Die Rezeption in der Zerstreuung, die sich mit wachsendem Nachdruck auf allen Gebieten der Kunst bemerkbar macht und das Symptom von tiefgreifenden Ver”nderungen der Apperzeption ist, hat am Film ihr eigentliches Ðbungsinstrument", schreibt Walter Benjamin in ªDas Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit´ ( erstmals erschienen 1936, ¸brigens in franz. Ðbersetzung). Allein dieser Satz - nochmals gelesen im Zeitalter der technischen Generierbarkeit - ist schon erhellend, fragt man nach dem Apperzeptions-Setting eines Datensurfers zwischen Computer-Eingabedeck bzw. Maus, Monitorbild, den >Universal Resource Locators< (URLs), Domain-Namen, IP-Adressen und Datenf¸lle einerseits und dem vermaschten Netzwerk der Telefonleitungen andererseits, die ihn mit Knoten, Servern und zahllosen Usern verbinden.

Die G–tter, sprich V”ter, der computernden Futurekids heiþen heute Nintendo, Sega und Sony. Die Sozialisation dieser Generation erfolgt dennoch nicht - oder gerade deswegen - in allen F”llen so geradlinig, wie es die Erwachsenen gerne h”tten. So manches dieser Kids entwickelt F”higkeiten und Haltungen, die dem - fr¸her oder sp”ter unumg”nglichen - Vollzug des >Vatermords< eine zeitad”quate Form geben. Viele junge Hacker entsprechen heute l”ngst nicht mehr dem Bild von der blasen, neurotischen, kontaktarmen Existenz, wie es in den 70ern gepr”gt wurde und in den K–pfen des Normalb¸rgers weiter herumgeistert. Hacken gilt heute als Kulturtechnik, Kampfprinzip und Lebensform mit einer eigenst”ndigen Ethik. Hacken kann nicht einfach mit >brain-crime< gleichgesetzt werden. F¸r die Aufrechterhaltung von >information wants to be free<, wie die allem Hacken zugrundeliegende Losung heiþt, muþ schon einiges getan werden. So verf¸gen Hacker, die sich fallweise auch in Gruppen zusammenschlieþen, ¸ber umfangreiche >warezes< und >kodezes<, schicken >softbots< auf die Infobahnen oder bohren - wenn es sein muþ - mit >IP-spoofing< und speziellem >rootkit< durch >firewalls<. Und in einem sollte man sich unbedingt im klaren sein: Einzig diese junge Generation der Cybernauten hat die partizipatorischen Optionen der technologischen Evolution als Herausforderung begriffen, und nur diese Generation b¸rgt f¸r das Egalit”tsprinzip in der k¸nftigen Informationsgesellschaft.

Daþ man f¸r dieses Prinzip, wie schon in der Vergangenheit, weiterhin k”mpfen wird m¸ssen, zeigen aktuelle Maþnahmen und Statements, wie sie auf Regierungsebene div. L”nder verlautet werden. So hat bspw. die Clinton-Regierung im M”rz ¥96 den sog. >Communications Decency Act<, kurz CDA, erlassen. Ein Gesetz, das Sitte und Anstand (!) im Datenverkehr regeln soll. Der Gebrauch von Vokabeln bspw. wie etwa shit und fuck soll neben anderen damit allen Ernstes unterbunden werden. Spontan gefragt: Haben die noch alle Tassen im Schrank? (Tausende US-B¸rger haben inzwischen gegen das Gesetz Klage eingebracht.) Nach den voreiligen Aktionen der bayerischen Justiz Ende ¥95, m¸ssen auch die Herren in Bonn ihren Senf zu diesen Fragen dazugeben (als ob die nicht weitaus gr–þere Probleme h”tten). W”hrend sich der Justizminister Edzar Schmidt-Jortzig in seinen Ÿuþerungen zu diesen Fragen auffallend vern¸nftig und moderat verh”lt, m–chte Innenminister Manfred Kanther die Freiheit im Internet per Gesetz lieber heute als morgen abschaffen.

Kurze Zwischenbilanz, was unser Verh”ltnis zum Internet anlangt: Einerseits verbindet es uns mit virtuellen Gemeinschaften, andererseits l”þt es uns allein vor dem Bildschirm Kollektivit”t nur sehr vage erleben; einerseits bereichert es unsere sozialen, politischen und privaten Lebensbereiche durch den freien Fluþ von Ideen in den weltumspannenden Computernetzen, andererseits bedroht es uns als Werkzeug zur Durchsetzung des Konzepts vom perfekten Chip-B¸rger durch Staat und Kapital mit der Aussicht auf Verhaltenslenkung und Massenkontrolle. Frage: Geben wir letztendlich mehr als wir bekommen?

Die Konsequenz aus all dem in bezug auf unser Denken und Verhalten schaut vorerst so aus. Regel 1: Endg¸ltiger Abschied vom Substanzdenken; die Substanz ist l”ngst durch Funktionalit”t ersetzt. Regel 2: Subjektzentrische Phantasmen wie, man k–nne einen Ozean in den Griff bekommen, als ein solches erkennen. Regel 3: Stattdessen mehr auf die Wellenbewegungen rundum achten, denn dann - ja dann - surft man ganz gut auf dem Wellenkamm dahin. Und Regel 4, brandaktuell: Cypher wie Chiffre und Verschl¸sselungstechniken sind angesagt; und nur mehr Postfachanschriften angeben.

Unsere Welt heute, die sog. postindustrielle Welt, ist eine komplexe Hybride (Bastard), ein vermaschtes Netzwerk, das sich aus dem biologischen und technologischen Genpool speist. Eine Welt in der sich die organisch-psychischen Systemkomplexit”ten der Spezies Mensch in der Dichotomie von Hedonismus und technischer Rationalit”t dahin-channeln und wo Begriffe und Werte nicht dem Geschehen die Richtung weisen, sondern seine Funktionen sind. Kommunikation und Information, immer schon Evolutionsfaktoren, avancieren heute im Spannungsfeld zwischen biologischer und technologischer Evolution zur bedeutendsten Produktivkraft in der sog. Informationsgesellschaft.

2

W”hrend wir, etwa face to face, Gespr”che f¸hren oder einander vielleicht online in der Infosph”re begegnen, feuern blitzschnell in korrelierten Schwingungen Neuronen, die in je unseren Gehirnen Zusammengeh–rendes repr”sentieren. Dabei sendet jede Pyramidenzelle Signale an zirka 10000 andere Pyramidenzellen, die ebenso Botschaften senden und empfangen. Sie erregen sich gegenseitig ¸ber d¸nne Nervenforts”tze. Wegen ihrer Form werden sie Pyramidenzellen genannt. Genaugenommen sind es dicht gepackte Neuronen, die groþteils unseren Cortex bilden.

In unseren K–pfen geht es zumeist schwer ab, auch dann, wenn wir uns - etwa allein in einem Raum, ja sogar im Schlaf - nicht kommunikativ verhalten. Denn auch innere Dialoge sind an Erfahrungen interpersonaler Kommunikation orientiert und prozessieren nach dem selben Muster. Nach aktuellen Einsichten der Neurowissenschaften basieren mentale Prozesse auf neuronalen Netzwerken, wo parallel arbeitende Ensembles von Nervenzellen permanent multidimensionales Zersplittern und mosaikartiges Wiederherstellen von sog. mentalen Repr”sentationen erzeugen. Denken und F¸hlen muþ dabei in einem dynamischen Zusammenwirken verstanden werden. Luc Ciompi, der in seiner Disziplin der Psychologie eine radikal konstruktivistische Position einnimmt, hat daf¸r das >affektiv-kognitive Bezugssystem< als zentralen Begriff seiner Affektlogik eingef¸hrt.

In einer dahingehenden Psychotherapie liegt die Probleml–sung innerhalb von vernetzten Strukturen von vielf”ltigen Teilkomponenten eines >Selbst<. Weniger von Bedeutung ist bspw. der >Inhaltsaspekt< von Kommunikationen den Klienten betreffend, sondern weitaus mehr der >Beziehungsaspekt<, d.h. die Art der Verkn¸pfung der Elemente. Sie k–nnen ¸ber den Informationsfluþ innerhalb einer Beziehungsstruktur, die den Klienten mit ihm nahestehenden Personen verbindet, Aufschluþ geben. Konflikte zeigen sich vor allem dort, wo das Wechselspiel von Geben und Nehmen, das jede kommunikative Handlung - im Normalfall unbewuþt - formiert, in Turbulenzen geraten ist.

Diese Probleme k–nnen etwa in der Konfusion von Inhalts- und Beziehungsaspekt von Kommunikation (in der Folge: KM) liegen; in Ðbersetzungsfehlern zwischen digitaler und analoger KM auf der Ebene der menschlichen KM; bis hin zu Problemmustern, wie sie sich in symmetrischen und komplement”ren Interaktionen ausbilden k–nnen. Dahingehende Probleml–sungen zielen ganz allgemein darauf, das kommunikative Wechselspiel von Geben und Nehmen wieder in Gang zu bringen. Nicht mehr und nicht weniger.

In Politikerreden oder etwa beim Propagieren zur Einf¸hrung sog. neuer Technologien kommt der Begriff der KM heute zunehmend mehr als Ideologem zum Einsatz. Die Wortwahl suggeriert dann, daþ die Herstellung von Konsens zu den wichtigsten Leistungen der KM z”hlt. Daraus k–nnte man wiederum den falschen Schluþ ziehen, daþ redundante Mitteilungen der KM besonders f–rderlich w”ren. Das Ergebnis w”re allerdings unertr”gliche Langeweile, da die dem KMsanschluþ unabdingbare Erregung, sprich Differenz, fehlt.

Fraglos verhilft uns die Redundanz zu einer gewissen Stabilit”t hinsichtlich der Wirklichkeitsvergewisserung und wir erfahren sie als verbindliche Verhaltungsgrundlage. Sie schafft ¸ber die Schranken des je individualisierten Bewuþtseins den Eindruck von Objektivit”t, der Richtigkeit normativer Verhaltensvorgaben usw.

Die relevante Leistung der KM liegt aber in der Sensibilisierung des betreffenden KMssystems f¸r Zuf”lle, f¸r >noise< jeglicher Art. KMsangebote beinhalten grunds”tzlich immer Annahme- und Ablehnungsm–glichkeiten. Der Anschluþ von KM an weitere KMsverl”ufe wird vorrangig durch die Produktion von Differenz beg¸nstigt. Unser Bewuþtsein, also der Operationsmodus eines psychischen Systems, hat auf die systemeigene reflexive Produktion von KMen in KMssystemen allerdings keinen wie immer verstandenen intentionalen Einfluþ.

Zirkulierende KMsangebote werden in der System-Umwelt zu Themen ausdifferenziert. Als solche gelangen sie in KMen und produzieren Ereignisse, die systemintern als Informationen weiter verarbeitet werden. Die selbstreflexive Selektion des Systems selbst - und nicht ein externer Beobachter - schafft Ordnung im Sinne reduzierter Komplexit”t und h”lt durch das permanente Relationieren der Systemelemente die Reproduktion im Gang. Diese Elemente sind keine Seins-Einheiten, sondern Bezugsmomente der Verkn¸pfungsweise des Systems, das sich dadurch reproduziert. In der Sichtweise einer allgemeinen Systemtheorie bestehen soziale Systeme aus KMen und deren Zurechnung als Handlung. Das eine ohne das andere erg”be keine sozio-kulturelle Evolution. (s. dz. Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1987.)

F¸r das Verstehen dieser sehr komplexen Sachverhalte ist es unbedingt erforderlich, die Systemebenen von psychischen und sozialen Systemen nicht zu verwechseln. Bewuþtsein und KM stehen zwar in einem konnektivistischen Verh”ltnis, das aber nur in der Unterscheidung beider als je eigene dynamische Komplexit”t verst”ndlich wird.

3

F¸nfzig Tage lang jagte der Sicherheitsfachmann Tsutomu Shimomura den Hacker Kevin Mitnick. Bei seiner Verhaftung soll Mitnick im Vorbeigehen zu seinem J”ger gesagt haben: "Meine Hochachtung f¸r dein K–nnen."

F.E.Rakuschan

<...