"Geben und Nehmen"

Medien sind dabei technisch gesprochen nur soweit von belang, insofern Kommunikationsabl”ufe deren systemimmanenter Bestandteil sind. Ob f¸r die Herstellung oder das Zeigen einer k¸nstlerischen Arbeit Computer verwendet werden, ist hier sekund”r. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Inhalt der Kommunikation, in Fortsetzung eines offenen und flieþenden Kunstbegriffs, der sich in der zweiten H”lfte des 20.Jahrhunderts etablieren konnte. Doch mit dem Begriff ÑInhalt" ist vorsichtig umzugehen. Der ÑInhalt" von ÑGeben & Nehmen" ist nicht eine isolierte Botschaft, sondern eine Konfiguration verschiedener Sinn-Agenzien, die miteinander in einer dynamischen Wechselwirkung stehen. Die Frage nach der Bedeutung eines Werks hat sich aus dem Subjekt-Objekt Schema gel–st und in den virtuellen Ereignisraum verlagert. Das Werk ist die Momentaufnahme eines Ereignisses, die Geburt der Idee im Kopf der/des Betrachters/in. "Es" findet nur statt, wenn das virtuelle Ereignis "Kunstwerk" durch das aktive Mitarbeiten eines Benutzers aus dem Schoþ der Virtualit”t ins Licht der Realit”t bef–rdert wird. Dieses "Es" bildet das Thema von "Geben und Nehmen". Was sind die Voraussetzungen, damit es stattfindet. Zwischen wem findet es statt (z.B. Benutzer-Maschine, Betrachter-Bild, Benutzer-Medium-Benutzer)? Um was f¸r eine Art des Austauschs handelt es sich? Was geschieht im Kern der Ðbertragung? Wie definieren sich verschobene Inhalte neu? In welchem Kontext finden diese Ereignisse statt?

Um diese Kernfragen ranken sich einige weitere Fragen, z.B. die nach der Autonomie der Kunst in einem vernetzten System mit anderen gesellschaftlichen Faktoren, wie Technologie oder ÷konomie. Die Gestaltung von Kommunikationsabl”ufen in weltweiten Netzen ist ein neues Gebiet. Dabei verschwimmen mitunter die Begriffe von Kunst und Interface-Design. Es ist ebenso legitim, sich um Inhalte zu k¸mmern, wie um die Beschaffenheit des Browsers, der zu diesen Inhalten f¸hrt. K¸nstler wandern an der Grenze zwischen Forschung, Unterhaltungstechnologie und soziokulturellen Verwaltungsstrukturen. Ihre Arbeiten sind Schalter zwischen der virtuellen und der realen Konstruktion von Wirklichkeit. Kommunikationstechnologie wird zur Identit”tsfindung und Entwicklung eines subjektiven Blicks auf die Welt benutzt. Doch es ist nicht leicht, so tief anzusetzen, so nah an der Hardware zu arbeiten. Aufgabe heutiger K¸nstler kann es ebenso sein, gesellschaftliche Implikationen neuer Technologien zu beobachten und darzustellen. Die Wahl der Mittel Ihrer Darstellung ist dabei - und das soll durchaus noch einmal betont werden - unabh”ngig vom Thema. Es kann sich auch um sogenannte "traditionelle" Medien handeln wie Malerei, Skulptur, Fotografie. So kann "Geben & Nehmen" zumindest im theoretischen Ansatz den Graben ¸berbr¸cken, der sich in der Kunstlandschaft unn–tigerweise zwischen Protagonisten der "Medienkunst" und der ÑKunstkunst" aufgetan hat. Der forschend, subjektiv-wissenschaftliche Blick in der Gegenwart lebender K¸nsler besch”ftigt sich aktiv mit neuen Medien, wie z.B. dem Internet, pendelt zwischen Individualit”t (Neigung, Obsession) und Gesellschaftlichem (Kontextfelder, Begrifflichkeiten)und das in einer permanenten Spannung zwischen globalem Denken und dem Blick auf das K–rperdasein im realen Raum.

K–rper und Natur, klassische Themen der Kunst, k–nnen ohne diesen virtuellen Kontext gar nicht mehr behandelt werden. Wer etwas ¸ber Natur sagen will, muþ sich mit wissenschaftlichen Theorien besch”ftigen, wer etwas ¸ber K–rper sagen will, kommt nicht umhin, das mediale Double des K–rpers mit zu reflektieren. Ein digitaler Wirbelsturm bl”st den Apologeten einer neuen ÑK–rperkunst" oder von ÑAuthentizit”t" die Kerzenflamme aus. Aus heutiger Sicht sind eine k¸nstliche Natur und ein synthetischer K–rper die Themen der Kunst.

Gerade das Verh”ltnis zwischen weltweiten Kommunikationsnetzen in einer Kultur der Geschwindigkeit und den realen Orten und Erfahrungen, die wir mit dem K–rper machen, liegt eines der groþen Problem- und Spannungsfelder unserer Zeit. Denn die Netzwerke dienen ja nicht nur zum Austausch von wissenschaftlichen und k¸nstlerischen Thesen sondern unterst¸tzen vor allem auch die Ausbildung einer neuen Zentralit”t und Machtf¸lle elektronisch hochger¸steter Finanzpl”tze (Saskia Sassen). Orte, die f¸r den ÑZitadellenkapitalismus" (Mike Davies)dieser globalen ÑSt”dte" –konomisch uninteressant sind, werden dem Zerfall ¸berlassen. Die Medienmaschinerie, die immer schneller elektronische Nachrichten herstellt und verteilt, bis zum dem Punkt, daþ diese elektronischen Artefakte die Wirklichkeit ¸berholen, hat nicht nur die ÑAgonie des Realen" (Baudrillard) ausgel–st, sondern setzt auch zur ÑEroberung des K–rpers" an (Virilio). Der Eintritt in die elektronischen Netzwelten, die ÑBesiedlung des Cyberspace" (R–tzer) is also zu gleich eine Kolonialisation der K–rper. Die K–rper geh–ren nicht mehr uns sondern den Medien.

Doch auch die Netzwerkeuphoriker und selbst die Netzkritiker sollten in ihrer Wortwahl manchmal vorsichtiger sein. Allzuleicht wird vergessen, daþ Begriffe wie Ñelektronischer Raum" oder Ñdigitale Stadt" pure Metaphern sind, um die Informationen im Cyberspace als Landschaft zu organisieren, mnemotechnisch in den Begriff zu bekommen und kartographische Bezeichnungssysteme zu erstellen. Oft geht die Sprache mit sich selbst durch und wird tautologisches Denken zur Untermauerung eines Techno-Determinismus hervorgeholt. Der Cyberspace ist eines der erfolgreichsten medialen Ablenkungsman–ver, um ¸ber den Abbau des Sozialstaates und die Degeneration demokratischer Rechte - nicht am Papier aber in der Praxis - hinwegzut”uschen. In der postsozialen Gesellschaft k–nnen sich erneut sozialdarwinistische Organisationsmuster ausbilden, deren G¸ltigkeit durch naturwissenschaftliche Theorien und das medial geschaffene Klima der Angst untermauert wird. Die Autorit”tsfeindlichkeit von Althippies und Anarchos - den kalifornischen Gurus des Cyberspace - arbeitet den neolibert”ren Tendenzen extrem konservativer Wirtschaftshardliner in die Hand (Barbrook/Cameron).

Wenn also in Zusammenhang von Netzwerken vom ÑRaum" gesprochen wird, dann ist das ein Raum ”hnlich der vierten r”umlichen Dimension, den wir nicht sehen, ja den wir uns nicht einmal vorstellen k–nnen, und der nur durch die Kommunikation zwischen Menschen entsteht. Insofern sind die ganzen techno-deterministischen Fragestellungen hinf”llig, wie z.B. ob das Internet nun dreidimensional wird oder ob man Live-Video integrieren kann. Firmen wie ÑNetscape" oder ÑSun" m–gen uns w–chentlich mit neuen Zugaben zur Kommunikationssoftware ¸berraschen, ob diese Zusatzmodule nun VRML oder Java heissen, damit wird sich gesellschaftlich ¸berhaupt nichts ”ndern. Denn Ver”nderungen k–nnen nur im sozialen Rahmen und durch neue Verkn¸pfungen zwischen Begriffs- und Praxisebenen entstehen. Damit hat auch die Kunst eine neue Chance, die ja im wesentlichen mit analogen und symbolischen Mitteln arbeitet. Egal auf welchem Feld und mit welchen technischen Medien, Kunst hat immer die M–glichkeit, symbolische Anker ins Herz der Maschine zu werfen und so das soziale ÑRouting" zu ver”ndern.

"Geben und Nehmen" findet in zahlreichen Arbeiten zeitgen–ssischer K¸nstlerinnen unentwegt statt. Der Begriff von Kunst als Kommunikation ver”ndert sich mit seinen Inhalten. Noch unscharf aber unverkennbar tritt eine neue Konfiguration des Begriffssystems Kunst auf den Plan.

Geben & Nehmen" erprobt elementare Widerspr¸che der Informationsgesellschaft: die Begegnung der Sinnlichkeit l”ndlicher Feste mit der globalen Interaktion in kulturellen Netzwerken.

Barbara Thumm/Armin Medosch, Berlin/M¸nchen 1996

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Mit der Ausstellung "Geben und Nehmen" werden neue Positionen in der Kunst pr”sentiert, die auf verschiedene Art "Kommunikation" thematisieren.

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