Eine translogische Vermaschung von Gedanken

Daniela Plewe: MUSER'S SERVICE - Internet Dienst f¸r Tagtr”umer (1995-96)

von (c) Andreas Broeckmann

Adressen im WorldWideWeb: http://domini.zkm.de/muser.html http://www.icf.de/musers-service

Deine Gedanken schweifen. Du genieþt diesen gl¸cklichen Zustand des Halbbewuþtseins, in dem Deine Gedanken frei von gez¸geltem Vernunftdenken sind. Diese vor¸bergehende Freiheit des Tagtr”umers ist eine gute Vorbedingung, um an dem Dienst gefallen zu finden, den Daniela Alina Plewes "Muser's Service" leistet (engl. to muse bedeutet sinnen, denken). Das Projekt bietet ein Modell ebenso wie ein Werkzeug f¸r M/User an und leitet diese durch einen mehrdimensionalen Raum der M–glichkeiten und der Kontemplation. Seit November 1995 ist dieser "Service" ¸ber das WorldWideWeb zug”nglich, in dem es nun als genuines Netzwerkprojekt benutzt und erweitert werden kann.

Eingabe / Input

Muser's Service ist eine computergest¸tzte Struktur vernetzter Begriffe, die durch eine Vielfalt logischer Verkn¸pfungen miteinander in Beziehung gesetzt sind. Der Benutzer kann neue Konzepte zu dieser vermaschten Datenbank hinzuf¸gen, ihre Eigenschaften spezifizieren (Liebe ist ... begehrenswert, schmerzhaft, langweilig, etc.) und die "Links" (Methoden der Verkn¸pfung) zwischen neuen oder bereits bestehenden Begriffen definieren. So k–nnen die Benutzer w”hlen, ob sie z.B. festlegen wollen, daþ Liebe "das Gegenteil von" Haþ ist, oder daþ sie "eine Folge von", "eine notwendige Eigenschaft von" oder "”hnlich wie" Haþ ist. Der anf”ngliche Input der K¸nstlerin und erster Benutzer wird progressiv erweitert. Der Muser's Service ist nun eine komplexe Struktur, die von Benutzern f¸r eine Runde computergest¸tzter Tagtr”umerei herangezogen werden kann.

Anfrage / Request

Die Anfrage wird durch eine einfache Schnittstelle unterst¸tzt, die den Benutzer fragt, die entsprechenden notwendigen Entscheidungen zu treffen: was ist der Startbegriff (z.B. Zivilisation), was ist der Zielbegriff (z.B. Leidenschaft), und was sind die bevorzugten Methoden der Assoziation (z.B. Konjunktion, Disjunktion, Identit”t, Ÿhnlichkeit, Reim, Konvention). Diese Pr”ferenzliste der Methoden leitet den Suchalgorithmus durch das Netz der Assoziationen, indem die gangbaren M–glichkeiten f¸r jeden Begriff ausgew”hlt werden. Versuchen wir es z.B. hiermit:

START: anxiety GOAL: adventure PREFERRED METHODS OF ASSOCIATION: coexistence

Wiedergabe / Output

Der Computer bearbeitet diese Anfrage und liefert nach einigen Sekunden einen Text, der eine m–gliche Spur durch die vernetzten Begriffe und qualifizierten Verbindungen der Datenbank repr”sentiert. Der resultierende Text ist auf eine einfache, entkoppelte Syntax aufgebaut und offeriert eine Serie vorhersehbarer ebenso wie ¸berraschender Zusammenf¸gungen, die er entlang der gew”hlten Spur durchwandert.

anxiety and unhappy people are not always surviving is a goal could be power guarantees wealth similar to imagination is luck is temptation condemned by education ...

Genauso wie im Gedankenfluþ eines Tagtr”umers gibt es keine koh”rente Struktur, sondern eine sich unabl”ssig verschiebende Syntax, ein m”andernder Pfad durch ein Maschenwerk m–glicher assoziativer Verbindungen. Dieser Pfad ist weder festgelegt noch willk¸rlich, sondern abh”ngig vom Input der jetzigen und fr¸heren Benutzer, den Begriffen, die sie gew”hlt haben und den logischen und alogischen Verbindungen, die sie zwischen ihnen gekn¸pft haben.

... freedom is a dream inspires creativity makes money creates happiness happiness achieves pride as stupidity can't make a star has achieved some outstanding performance within society develops stress opposed to sublimity along with technoeuphoria ...

Ein Labyrinth von Ideen wurde von Menschen mit verschiedenen kulturellen und sozialen Ausgangsbedingungen geschaffen und wir werden durch dieses Labyrinth entlang der subjektiven und intersubjektiven Wahlentscheidungen geleitet, welche die tagtr”umenden Benutzer kollektiv geschaffen haben.

... technophoria misleads future based on boldness irritates people are delivered to death liberating soul feels trouble solvable by modesty optimizes efficiency is supported by machine without description as a kind of beauty after adventure

Erweiterung

Der Muser's Service und seine Vorl”ufer wurden zun”chst auf einem nicht vernetzten PC installiert und in Kunstzentren und auf –ffentlichen Ausstellungen gezeigt, u.a. in Rostock, St. Petersburg, Helsinki, Warschau, Leipzig und New York. Die Anfangsversion der Autorin wurde im Ablauf dieser Pr”sentationen langsam ausgeweitet und vermischt mit einer Vielzahl von Konzepten und logischen Verbindungen, die von sp”teren Benutzern angelegt wurden.

Die Version, die nun auf dem WorldWideWeb l”uft, erweitert die Reichweite des Projekts deutlich. Der Zugang zum Muser's Service ist nicht l”nger auf lokal anwesende Personen beschr”nkt, sondern f¸r die Gesamtheit der WWW-Benutzer offen. Sie sind eingeladen, an der Bildung einer wesentlich gr–þeren assoziativen Struktur teilzunehmen, in welcher der determinierende Einfluþ verschiedener Sprachen auf die Gestaltung assoziativer Felder, sowie deren kulturelle Eigenheiten zu immer neuen, immer komplexeren Aufforderungen zum Tagtr”umen ¸ber die gr–þeren und kleineren philosophischen Fragen des t”glichen Lebens f¸hren werden. In dieser neuen Version des Muser's Service k–nnen die Begriffe dar¸berhinaus an andere Seiten im WWW gelinkt werden, so daþ ein Begriff wie "Komplexit”t" mit WebSites verbunden werden kann, wo mathematische Komplexit”tstheorien abgehandelt werden, oder ein Begriff wie "Maschine" mit Forschungsstellen, die sich mit Robotik oder der Geschichte der Ingenieurswissenschaften besch”ftigen.

START: civilisation GOAL: happiness PREFERRED METHODS OF ASSOCIATION: coexistence, alternative, contrast

RUN: civilisation is creative and fascinating as adventure is arousing,always new, nearly everywhere and useful as Computer Aided Brainstorming is hard to accept and helpful as dissappointment reduces happiness

Assoziative Intelligenz

Muser's Service stellt einen praktischen Versuch dar, einige der Fragen anzusprechen, die in der Diskussion um K¸nstliche Intelligenz verfolgt werden. Mit Muser's Service wurde versucht, aus den N–ten der KI-Forschung (z.B. semantische Kontexte und Widerspr¸che formal zu erfassen) eine Tugend zu machen, indem das System m–glichst ungew–hnliche, aber durchaus zu rechtfertigende Verbindungen zwischen weit entfernten Begriffen liefert. Die logische Klassifikation von assoziativen Verkn¸pfungen ergeben einen mehrdimensionalen logischen Raum, durch den das System Pfade auf der Basis vorkonfigurierter Beziehungen legt.

START: life GOAL (SPECIFIED BY PROPERTIES): highly desirable, always new, hard to get PREFERRED METHODS OF ASSOCIATION: cause-effect, means-end, contrast, action, similarity

RUN: life causes trouble creates uneasy feelings opposed to passion is an adventure without obedience often brings com-fort is danger sometimes leads to despair can be lack of courage due to anxiety after disappointment about love and sexual activities with breasts are similar to udder belong to cows are part of nature opposed to civilisation is a kind of efficiency is supported by maschine made by humans with outstanding performance aiming for progress is important for happiness

Was wie ein halb kontrolliertes Delirium erscheinen mag, umfaþt zwei wichtige Experimente mit logischen Systemen. Erstens ist es nun nicht mehr allein m–glich, eine Anfrage zwischen zwei genau definierten Begriffen zu starten, sondern Anfangs- und Zielbegriff k–nnen auch indirekt gew”hlt werden, indem Eigenschaften, die sie aufweisen sollten, angegeben werden (wie "schwer zu bekommen", "sehr erstrebenswert", "unbefriedigend"). Eine Thesaurus-inspirierte Suchmaschine sucht dann nach Begriffen mit den gew”hlten Eigenschaften und benutzt diese als Anfangs- oder Zielbegriff. Als ein zweites Feature ist es der Maschine nun m–glich, selbst neue assoziative Verbindungen zu schaffen, wenn sie merkt, daþ bestimmte Begriffe verwandte Eigenschaften haben, z.B. daþ einer dem anderen ”hnlich ist, oder eine Abstraktion oder eine Spezifikation des anderen Begriffes ist (z.B. ..ist so rot wie...; ...ist rot daher farbig...; ...farbig, wahrscheinlich gr¸n...) Solche assoziativen Verbindungen konnten bisher nur von Menschen erzeugt werden, und Muser's Service erlaubt es unseres Wissens erstmals einem Computerprogramm, sich an der kollektiven Bem¸hung um assoziative Vernetzung zu beteiligen.

Muser's Service schl”gt ein Modell f¸r die flieþende Dynamik von Gedanken vor und bildet einen Versuch, die Regeln dieses Flieþens zu untersuchen. Muser's Service schafft ein Simulakrum f¸r das, was wir bei menschlicher Intelligenz als "assoziatives Denken" bezeichnen.

Reflexion

F¸r den individuellen User bedeutet das, daþ er oder sie ermutigt wird, ¸ber assoziative Beziehungen zwischen ausgew”hlten Begriffen nachzudenken, von denen manche als einfach passend und wahr empfunden werden m–gen, andere als neu und inspirierend und wieder andere als v–llig fremdartig. Gleichzeitig simuliert der Service einen assoziativen Prozess und n–tigt die Benutzer, ihre eigene assoziative Landkarte zu inspizieren. Was sind nun die spezifischen, bevorzugten assoziativen Verbindungen, die wir zwischen bestimmten Begriffen herzustellen neigen, wie werden diese Verbindungen von Menschen mit einer anderen assoziativen Landkarte im Kopf erfahren, und wie gelangen wir von einer Idee zur anderen? Verh”lt es sich so, daþ wir ¸ber neue Ideen in vermaschten Strukturen wie dieser stolpern? Daniela Alina Plewe schl”gt vor, daþ der Tagtr”umerdienst vielleicht ein computergest¸tztes Brainstorming anbietet, insbesondere dann, wenn dem Tagtr”umer die M–glichkeit gegeben ist, anstatt eines bestimmten Zielbegriffs die vage Beschreibung einer Richtung anzudeuten, oder Charakteristika einzugeben, die das Ziel "definiert durch seine Eigenschaften" aufweist, so daþ der Muser's Service dann "automatisch" ein passendes Konzept ansteuert.

START: wisdom GOAL(SPECIFIED BY PROPERTIES): unavoidable, unpleasant PREFERRED METHODS OF ASSOCIATION: similarity, abstraction, specification, means-end, system-generated

RUN: wisdom through machines is difficult, extreme, unavoidable and useful as death is easy to get and unavoidable as stress may cause omissions lead to regret is a kind of pain

Interaktion

Beim Muser's Service spielt das interaktive Element eine wichtige Rolle, eine Interaktivit”t, die nicht nur die Auswahl zwischen vorgegebenen Strukturen erlaubt, sondern auch die M–glichkeit, den konzeptuellen Rahmen selbst zu erweitern. Benutzer sind gefragt, die Liste der Begriffe zu erweitern und Verbindungen zwischen ihnen neu zu definieren oder neu zu schaffen. Dadurch sind die Benutzer/innen aufgefordert, dar¸ber nachzudenken, wie bestimmte Ideen klassifiziert und innerhalb gegebener Strukturen plaziert werden k–nnen - und m–glicherweise damit auch die Grenzen jener klassifizierenden Ðbungen auszuloten, die in der Computerbenutzung von solch entscheidender Bedeutung sind.

START: choice GOAL : time PREFERRED METHODS OF ASSOCIATION: cause-effect, system-generated

RUN: ...choice threatened by contradictions lead to irritation is ephemere as opportunities only at one time...

Muser's Service begegnet den k¸nstlerischen Herausforderungen elektronischer Netze auf vielf”ltige Art. Es erm–glicht zum einen eine bestimmte Form kollektiver Kreativit”t. Jeder Benutzer kann sich an diesem Projekt beteiligen, dessen Komplexit”t und Reichtum von den gemeinsamen Bem¸hungen abh”ngt. Zum anderen erkundet das Projekt den Grenzbereich zwischen menschlichen Gedanken und Maschinenintelligenz: der Dienst ist ebenso abh”ngig von den menschlichen Eingaben, wie er von einem maschinenhaften Algorithmus angetrieben ist, der die intuitive Assoziation in eine streng logische Struktur einschreibt. Hierbei bildet die Klassifikation der intuitiven Struktur nach den methodologischen Operatoren die eigentliche Schnittstelle zwischen Mensch und Computer. Der Service spielt mit Elementen von Zufall und Vorbestimmtheit, oftmals poetische und ¸berraschende Wendungen annehmend, an einem Angelpunkt zwischen menschlicher kollektiver Assoziation und algorithmischer Strukturierung. In Form einer antisurrealen Geste wird uns nicht die Tiefe des Unbewuþten er–ffnet, sondern das Flickern an der Oberfl”che transpers–nlicher Intuition. Die Ergebnisse sind zum einen translogisch, indem sie nicht nur einer Logik der Rationalisierung folgen, sondern eine Vielzahl von Logiken ausf¸hren, um den Pfad der Tr”umerei zu bestimmen. Zum anderen sind die Ergebnisse translokal in dem Sinn, daþ Muser's Service keinen festen Ort hat, sondern als Ausdruck einer Vielheit flieþender Gedankenfragmente von multiplen M/Usern existiert.

Grenzen

An welche Grenzen wird diese Sondierung stoþen? Hat das Tagtr”umen ein Ende? Ich habe das vage Gef¸hl, daþ der Muser's Service m–glicherweise einem leichtherzigen Wahnsinn verfallen wird, daþ er mit einer Ðbermenge an assoziativen M–glichkeiten konfrontiert werden wird und daþ er irgendwann vergessen wird, den assoziativen Strom in eine bestimmte Richtung zu lenken. Er wird seine Gedanken nahtlos von einem Feld ins andere wandern lassen, einen Bewuþtseinsstrom produzierend, der keine Grenzen hat, sondern nur miteinander verbundene konzeptuelle Knoten kennt, die zu anderen Punkten f¸hren, von wo aus wieder mehr M–glichkeiten und neue Gedankenz¸ge ihren fr–hlichen Ausgang nehmen.

Im Augenblick allerdings findet der Muser's Service noch immer nach Hause...

START: comfort GOAL : breasts PREFERRED METHODS OF ASSOCIATION: similarity, condition , means-end, system-generated

RUN: comfort is dangerous as sex with breasts

Andreas Broeckmann, Rotterdam/Berlin, April 1996 Deutsche Ðbersetzung Armin Medosch, M¸nchen 96

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