Bernd Kerkin
WALKABOUT 2, Mischtechnik, 1997, 135 x 180 cm
 
Karlheinz Wenzel
VAUCLUSE, Acryl auf Papier, 1998, 100 x 77 cm

Merete Cobarg: Karlheinz Wenzel und Bernd Kerkin

Bernd Kerkin und Karlheinz Wenzel leben in Mecklenburg-Vorpommern und schätzen die weiten, sanft hügeligen Landschaften rund um Neustrelitz und Neubrandenburg. Dennoch spiegeln sich in ihren Arbeiten vor allem Eindrücke wider, die auf Reisen durch fremde Regionen basieren.

Nachdem sie in der Ferne begierig das Neue erkundet haben, setzen sie später aus der zeitlichen und räumlichen Distanz heraus den emotionalen Extrakt ihrer Erinnerungen in kraftvolle Formen und sensible Farbklänge um. Die seit vielen Jahren vertraute Heimat bietet ihnen hierbei die Ruhe zum konzentrierten Arbeiten.

Beide Künstler lieben das Reisen und bringen vor Ort Skizzen oder Aquarelle zu Papier, die ihnen später als Ideenfundus dienen oder einfach nur die Erinnerungen auffrischen. Die sichtbare Umsetzung ihrer Empfindungen erfolgt jedoch auf sehr unterschiedliche Weise.

Kerkin war sieben Jahre als Architekt tätig, ehe er sich 1984 als Maler und Grafiker selbstständig machte. Er beschäftigt sich vor allem mit zeichenhaften Formen, die oft wie ein magisches Symbol erscheinen und Gegensätze in sich vereinen: Obwohl Kerkin einfachste Gestaltungsmittel verwendet und später auf Perspektive verzichtet, wirken sie oft volumenhaft. Die Verknappung in der Formensprache stellte von Anfang an ein Merkmal in seinem künstlerischen Schaffen dar.

Nach der lange erträumten und 1991/1992 verwirklichten Reise durch Mexiko, Kolumbien, Peru, Bolivien, Brasilien, Argentinien, Chile, auf die Osterinsel sowie nach Neuseeland und Australien entwickelten die Formen auf seinen Arbeiten eine stärkere Präsenz denn je und eine geheimnisvolle Magie. In der Begegnung mit jahrtausendealten Kulturen fand der Künstler Felszeichnungen mit Zeichen, die von ihm hätten sein können - Gedanken, die er auch in Tagebüchern niederschrieb.

Die Charakteristika der ureigenen Gestaltungsmittel von Kerkin sind auch auf den im letzten Jahr entstandenen Gouachen zu finden. Die Reduktion auf das Wesentliche und dessen Betonung durch kräftige Konturen oder starke Helldunkelkontraste verleiht den Formen auf diesen Blättern eine hohe Ausdruckskraft und eine besondere Eindringlichkeit, die auch durch die scheinbare Gegensätzlichkeit gespeist wird. Außerdem scheinen viele Zeichen zu schweben und werden nur durch die Farbe in die Komposition eingebunden. Kerkin verzichtet häufig auf Liniengefüge oder weitere Objekte, damit die dargestellte Form umso stärker zur Geltung kommt und in ihrer körperhaften Wirkung noch durch die umgebende Farbfläche gesteigert wird. So erscheinen oft Formen in leuchtenden Tönen wie Blau, Rot oder Gelb vor hellen Partien in zurückhaltenden Naturtönen. Sind die Kontraste weniger stark, betonen meist breite schwarze Konturen das Gebilde und unterstreichen zugleich dessen Zeichenhaftigkeit. Manche Gouache läßt den Betrachter an uralte Felszeichnungen oder Höhlenmalereien denken, deren Darstellungen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion liegen.

Während bei Kerkin die Form die Farbe dominiert, ist es bei Wenzel umgekehrt: Hier reagiert der Betrachter zuerst auf den Farbenklang, ehe er sich mit dem Detailreichtum der Liniengespinste auseinandersetzt. In den vergangenen Jahren faszinierten Wenzel vor allem Regionen in Frankreich, zum Beispiel Steinbrüche in warmen Ockertönen oder helle Felsen, deren Farben in der grellen Sonne des Mittelmeeres noch gleißender erscheinen. Vor Ort entstehen nur selten einige gezeichnete Skizzen oder kleinformatige Aquarelle. In seinem Atelier auf dem Neubrandenburger Datzeberg, inmitten von Hochhäusern in Plattenbauweise, drückt Wenzel später mit sensiblen malerischen Mitteln die Stimmung aus, die in seiner Erinnerung lebendig geblieben ist. Aus dem Bauch heraus entwickelt er auf einem weißen Blatt Papier eine Komposition, die sein Naturerlebnis zu einem reinen Farben- und Formenklang abstrahiert.

In seinen Werken aus dem Jahr 1998 schafft der Künstler ein organisches Gefüge, in dem wenige dunkle Linien größere Farbpartien in die Fläche binden. Es erscheinen keine realistischen Einzelheiten oder perspektivischen Ansichten, die die Identifikation einer Region ermöglichen würden. Statt dessen schöpft Wenzel aus seinem reichen Fundus an Erlebnissen und schafft mit leichter Hand detailreiche Werke, die im Betrachter eigene Gefühle auslösen. Die Komposition entsteht im Kopf des Künstlers und wird dann in einem Zug zu Papier gebracht. Ein über Jahrzehnte gereiftes Können erlaubt es dem Maler, mit einer Fülle von Ausdrucksmitteln die Bildoberfläche sinnlich erfahrbar zu machen: Er benutzt Acrylfarben und Pigmente, aber auch ein Kreidegemisch, das kleine Blasen wirft. Der Farbauftrag erfolgt mit Pinseln, Schwämmen und Spachteln; so erscheint die Oberfläche glatt oder rauh, glänzend oder matt. Die Farbe wird auch mal per Hand aufgespritzt oder aufgetröpfelt. Ein Fest für das Auge! Ein charakteristisches Beispiel ist die strukturierte Oberfläche des Blattes "Weißer Traum" (1998). Es wirkt aufgrund der auch haptisch reizvollen Oberfläche sehr lebendig und dank der von Weiß in vielen Nuancen dominierten Farbigkeit heiter und leicht. Anlaß war das Erlebnis einer Flugzeuglandung in Bratsk/Sibirien, wo die Schneeflächen je nach Untergrund - mit Ackerschollen, bewaldet oder asphaltiert - im Ausdruck stark differierten und so die besondere Aufmerksamkeit von Wenzel weckten. Seine tiefen Empfindungen hat der Künstlers in eine sinnlich erlebbare Bildwelt umgesetzt, in der die Vielfalt der weißen Elemente, mit unterschiedlichen Farben und Liniengefügen untersetzt, das Auge des Betrachters fesseln.

Wie Kerkin verzichtet Wenzel auf perspektivische Darstellungsmittel und schafft doch einen Bildraum, in dem wenige zarte Helldunkelkontraste eine gewisse Tiefe assoziieren. Eine barocke Sinnen- und Lebensfreude macht Wenzel zu einem Künstler voller Leidenschaft, der seinen Werken einen großen Reichtum an Details verleiht, die sich manchmal erst auf den zweiten Blick erschließen. Er besitzt eine hohe Sensibilität für Nuancierungen und ein ausgeprägtes Farbengefühl, das meist harmonische Klänge sucht und erdige Naturtöne mit Akzenten in leuchtenden Tönen bevorzugt.

Bernd Kerkin und Karlheinz Wenzel zeigen wichtige und interessante Positionen der Landschaftsmalerei innerhalb der Künstlerschaft von Mecklenburg-Vorpommern auf. Ihr Minimalismus und farbiger Strukturalismus hat sich von den Ursprüngen der Anschauung der heimatlichen Umgebung völlig losgelöst und macht wie in einem Konzert den Betrachter zu einem Interpreten, dessen eigene Gefühle und Erfahrungen das Seh-Erlebnis prägen.