Zerbrochene Schönheit

Ich habe viele Leute getroffen, vielleicht waren es auch nur wenige, ich weiß es nicht. Ich will es gar nicht wissen. Ich denke ich habe genug Leute getroffen um auch weiterhin Bilder zu machen.

Das sind meine Bilder für bestimmte Leute, die aus einer Information geschaffen wurden, die ich in ein paar gesprochenen Sätzen entdeckt habe, Bewegungen bestimmter Körperteile, starke Emotionen, falsches Lächeln und falsche Tränen, geheime Gesten an sonderbaren Orten, in sonderbaren Räumen, meist für einen ewigen kurzen Augenblick.

Diese Bilder könnten nie ganz, vollständig sein - auch wenn mehr Zeit und Energie da wäre , um noch mehr Informationen darin zu entdecken. Das Bild das du schaffst ist auch voller Leere. Am Anfang versuchst du, ein paar Stücke von dir in diese Leere hineinzutun, stützt dich dabei auf deine Erfahrung, deine Bildung, deine Vorstellungskraft. Aber das ist nur die Oberfläche. In jedem dieser Leerräume gibt es eine noch größere, tiefere Leere, eine immerwährende Leere. Es ist dieses Flimmern, wenn man ins Königreich der Leere eintritt. Je nachdem, wie wir uns entscheiden, erfahren wir die Leere, jeder von und erfährt sie anders. Manch einer von uns findet den Ausgang, aber es gibt keinen Ausgang. Das wollen sie aber nicht wahrhaben. Manch einer versucht eine Brücke zwischen den Leerräumen zu schlagen, mal hat er Erfolg dabei, aber meist scheitert er. Einige bleiben lebenslänglich in diesen leeren Räumen, sie verbreitern sie sogar und machen sie tiefer. Wenn man es mit den Leerstellen in den Bildern nicht schafft, versucht man dem ganzen eine Form und einen Rahmen zu geben. Aber wie das Leben selbst, ist jedes Bild unzähmbar, es kämpft, bewegt sich, es schlägt zurück und eträgt rigorose Form und Rahmen einfach nicht.

Jede Schaffung eines neuen Lebens ist der Wunsch von zwei Menschen nach einem Bild. Das vollkommene Bild, an das man von Anfang an glaubt. Unglücklicherweise ist aber nur das Bild vollkommen, hat keine leeren Stellen, und das auch nur in dem bestimmten Moment, und dann nie mehr. Vollkommene Schönheit. Und es beginnt.

Jeden Tag bekommt das Bild kleine Risse, Leerräume beginnen sich zu öffnen, sich zu verschwenden, und niemand sagt einem, wie man das Bild halten kann. Die leeren Räume sind sozusagen schon da, tief im Inneren des Bildes selbst. Das sind deine ersten Leeren, die so sehr weh tun, die von Tag zu Tag größer werden.

Das erste Spielzeug, das du aus dem Ausland bekommen hast, das sehr liebevoll irgendwo weit weg von zuhause gemacht worden ist. Du versuchst all diese Teile, die kleinen Details der Idee und des Wunsches den jemand hatte - einen anderen glücklich zu machen - zu verstehen.Du versuchst eine andere Kultur, eine andere Tradition zu verstehen. Du versuchst dir ein Bild zu machen von dem, der es gemacht hat. Vollkommene Schönheit. Dein erstes Spielzeug aus dem Ausland: du zeigst es den anderen, sie verstehen es nicht, sie nehmen es und machen es kaputt, zerstören es. Zerbrochene Schönheit. Du bist nicht mehr scannten Daten der fotografischen Flächen um - das Spiegelbild der äußeren menschlichen Realität wirdim Besitz der vollkommenen Schönheit, jetzt ist es nichts weiter als ein Bild, angefüllt mit Leere. Und es beginnt.

Du triffst Leute, die sich mit den Leeräumen, die in ihre Bilder einbrechen, intensiv beschäftigen, und die sich darin sicher fühlen. Sie wollen Schönheit erzeugen, die mit Leere angefüllt ist.

Dein erstes Osterei, sehr groß, weil es ein Gänseei ist, seltsam die Zeichnung und die Farben, wodurch es falsch aussieht. Ein Geschenk von einem Freund, der Künstler ist. Vollkommene Schönheit. Du fängst an, dir Bilder auszudenken von dem Bauernhof wo die Gänse leben, von den Frauen, die sie hüten Du versuchst, die Natur zu verstehen, um dir davon ein Bild zu machen. Und, schon wieder nichts, jemand nimmt das Ei, und aus Neid zerbricht er es, tritt drauf, stößt dagegen. Zerbrochene Schönheit. Und so geht es immer weiter.

Diese Leute mit den leeren Räumen, sie zerstören Schönheit. Aber manchmal traf ich jemanden, der einen Ausweg aus den leeren Räumen zu finden versuchte, der glaubte, daß man der Leere entfliehen könnte. Ich glaube das. Aber dennoch gibt es keinen Ausweg, keine Flucht, keinen Ausgang aus der Leere.

In der Nähe meines Hauses gab es einen engen, schwarzen Tunnel. Es war eigentlich kein Tunnel, eher ein natürlicher Durchgang. Das perfekte Bild eines Wegs von der einen zur anderen Seite des Hügels. Man versucht sich vorzustellen, wieviel Anstrengung es gekostet hat, und wieviele Jahre man brauchte, bis dieser Gang geschaffen war. Seine Wände waren ganz glatt, wie von Menschenhänden gemacht. Die Vollkommenheit der Natur als Bauherr. Vollkommener Eingang oder Ausgang, wie es einem beliebt. Vollkommene Schönheit. Eines Tages kamen viele Leute, legten Sprengstoff rein und jagten ihn in die Luft. Der halbe Hügel verschwand. Kein Ausgang. Zerbrochene Schönheit. So geht es immer weiter.

Und wieder triffst du andere Leute, und sie alle tragen eine große Leere in sich. Und wenn du auf jemanden triffst, der versucht, diese Leere zu überbrücken, über diese leeren Räume hinweg, dann versucht ihr es zusammen zu machen.

Es war einmal eine schöne Brücke, das Bild der Verbindung von zwei Ufern. Älter als ein halbes Jahrtausend. Ich versuchte mir die Kraft der Menschen vorzustellen, die sie gebaut haben, ich versuchte mir ein Bild zu machen, wie sie sie bauten. Perfekte Schönheit. Aber die Leute mit der großen Leere, die so tief war wie der Raum den die Brücke überspannte, zerstörten sie, zerbrachen sie in die allerkleinsten Stücke. Zerbrochene Schönheit. Und es wird ewig so weitergehen.

Mein Leben lang treffe ich auf Menschen, die die Schönheit kaputtmachen wollen, meistens, weil sie sie nicht verstehen. Das sind die Menschen, die vor der vollkommenen Schönheit Angst haben. Vollkommene Schönheit kann man nicht komponieren. Aber mit der enormen Macht der Vorstellungskraft kann man sie besser unversehrt erhalten.

Ich habe viele Leute getroffen, oder auch nur wenige, ich weiß es nicht. Aber vielleicht will ich es auch gar nicht wissen. Was ich aber weiß ist, daß jeder von uns eine zerbrochene Schönheit besitzt, sie unterscheidet sich in der Größe und Tiefe unserer eignen Leere.

 Goran Gugulovski

1964 geboren in Skopje; 1983-1988 Studium an der Fakultät für Architektur der Cyril und Methodius Universität Skopje; 1988-1990 Studium an der Fakultät für schöne Künste; 1990-1995 Studium an der Fakultät für Drama, Bereich Fernsehen, Radio, Film und Theater; 1996 Stipendium Akademie Schloß Solitude; 1997 Stipendium Mecklenburgisches Künstlerhaus Schloß Plüschow

Filmprojekte:

1991 "Borderline" ,Kurzfilm; 1992 "water, hill", Dokumentarfilm; 1993 "Death of a Bike", Kurzfilm; 1994 "Only 47 cantimetar", Kurzfilm

Ausstellungen:

1990 "Silence of Architektur", Videoinstallation, Alte Galerie Skopje; 1994 "Magix Box", Videoinstallation, Kleine Galerie Skopje; 1995 "9 1/2", Videoinstallation, Museum der schönen Künste, Skopje

Theaterprojekte:

1991 "Der Revisor"; 1992 "Onkel Wanja"; 1993 "A Streetcare Named Desire"; 1994 "Maids"; 1995 "Elvira is Cool"; 1996 "The original copy of the Krapp's last tape", Stuttgart; 1996 "Saga...", Stuttgart