bewegung entwurf eines modells

"utopie ist der vorgang.

der vorgang ist eine

balancierte bewegung der

differenz.

diese differenz öffnet freiheit

und verschließt hoffnung."

(m.h. 1995)

 

 

 

 

 

 

Max Bill, Rhythmus im Raum, 1947-48

bewegung ist ein geistiger vorgang. der mensch muß nicht umherlaufen, um sie zu erkennen. es geht nicht um das sich-fortbewegen, sondern um die frage, worum es sich bei "bewegung" -unabhängig vom koordinatensystem aus zeit und raum- handelt.

innerhalb einer künstlerischen praxis ist bewegung mehr als der äußere gestus, eher noch: voraussetzung. was ich erinnere an ereignis, atmosphäre oder erfahrung, ich bewege es durch mich hindurch. was sich nach außen vermittelt, ist dann oft noch ein rest dieser bewegung. der strich auf dem papier: gleichsam eine spur, hinterlassen, konzentriert wie beiläufig, aus einer bewegung kommend. er greift das intensive dieser prozedur auf, bildet nicht etwa einen körperlichen vorgang ab, sondern stößt darüberhinaus einen rhythmus an, der sich ausbreitet. so schaffen die zyklen konkreter striche eine gegenbewegung, nehmen bewegung auf.

die musikalische form bedarf ebenfalls der bewegung, wobei weniger das körperliche beschäftigtsein damit gemeint sein kann, als vielmehr die geistige auseinandersetzung, die schließlich zur form führt. in

der bewegung ist die trennung von körper und geist womöglich für einen moment aufgehoben: ein-klang; vielleicht entsteht bewegung aber auch und gerade in der trennung von körper und geist, in dem bemühen, einen zusammenhang herzustellen, das problem bewußt zu machen. formen, die daraus ent wickelt werden, können versuch sein, bewegung als eine kontinuität zu begreifen.

klangfreie passagen etwas, wie sie in kompositionen von helmut lachenmann auftauchen: der dirigent dirigiert weiter, obwohl die musiker im orchester nicht spielen. er dirigiert, bevor die bewegung wieder

einsetzt. auch in dieser dann stille ist durchaus bewegung. der dirigent wird zur metapher. er ist selbst geste, im sinne einer körperlichen bewegung, der klang verschwindet in einer choreografie, zu hören bleibt die spannung. bewegung ist also vor allem eine frage von qualität und damit mehr als bloße motorik. das wesentliche liegt nicht im äußerlich sichtbaren, sondern im wahrnehmen von inhalten, ein geistiger prozeß, kontinuierlich in beziehung gebracht mit einem äußeren kontext - und somit sichtbar, fühlbar, hörbar - wahrzunehmen und zu erkennen. diese innere, innewohnende bewegung gestaltet dann denken, vorstellungen, visionen und haltungen der menschen in die welt; ein durchaus politischer vorgang.

bewegung geht auf etwas hin, hat ein ziel: die skulptur "rhythmus im raum", von max bill 1947-48 aus dem möbiusband entwickelt, zeigt dies eindrücklich; wir sehen es auch in den "leeren" takten, die der dirigent mit größter genauigkeit dirigiert, selbst wenn kein musiker seiner geste folgt, stattdessen nur der eigene schatten auf einer weißen fläche tanzt. die geste des stummen dirigenten trägt weiter bewegung in sich. dies wahrzunehmen erfordert sicherlich auch genauigkeit im zuhören, zusehen.

... eine einfache form von bewegung ist der gedanke.

 Stephanie Schiller

1984-1991 Volontariat/Redakteurin; 1992-1997 Studium an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, Fachbereich Visuelle Kommunikation, Fachgebiet Medienökologie bei Prof. Michael Haller; 1994 "über das erinnern. ein entwurf" erschienen in "umwege", einer Publikation des Seminars "Morhpologie der telekratischen Gesellschaft", Hamburg; 1996 Arbeitsstipendium des Künstlerhauses Ahrenshoop; 1996 "imitation I und II", eine photographische Arbeit in der Ausstellung "Zukunft ohne Kunst" auf Schloß Plüschow; 1997 Stipendium Mecklenburgisches Künstlerhaus Schloß Plüschow; 1997 "bewegung": Partitur eines Films; lebt und arbeitet in Hamburg