Katrin Bettina Müller
Äpfel, Trauben, Saft
Eines der Unterscheidungskriterien zwischen wirklichen
und dargestellten Dingen ist, ob man sie essen kann. Kunst kann man nicht
essen, meistens. Aber schon eine antike Legende berichtet von den Trauben,
die so täuschend saftig auf die Wand gemalt waren, daß selbst
die Vögel an ihnen pickten.
Wenn Barbara Wille im Verlauf des Kunstmachens Trauben
in den Löchern einer Wand zu Rosinen schrumpeln läßt ("Riesling",
1996), Äpfel erntet und ihre roten Bäckchen mit dem eigenen Saft
an die Wand klebt ("Plüschower Fenster", 1996), schließlich
gar Säfte kocht und in Flaschen füllt, dann gerät nicht nur
die Grenze zwischen Kunst und Lebensmittel ins Rutschen. Was sich vor allem
auflöst, ist die Trennung zwischen Ding und Abbild, zwischen Sein und
Darstellen. Das System der Repräsentation, in dem das Abgebildete nie
mit dem Bild identisch sein kann, trickst die Künstlerin damit zwar
aus, jedoch ohne es ganz zu verlassen. Denn wenn ihre Materialien auch für
sich selbst stehen, so verweisen sie doch sowohl durch ihre organische Herkunft
als auch durch ihre Anordnung im Raum über das Hier und Jetzt der Installation
hinaus.
Die Plüschower Obstorgie hat eine Vorgeschichte, die
mit Bäumen in einem Atelier in Berlin (1993/94) begann. Dort hatte
Barbara Wille die Selbstabbildung eines Baumes als Intarsie in die Wand
eingelegt. "Astwerk" war ein in die Senkrechte gekipptes Bild,
das die Bildhauerin durch den waagrechten Schnitt durch die Krone einer
Eiche gewonnen hatte. Die Position der polierten Holzscheiben in der Wand
entsprach der Ausbreitung der Baumkrone. Zugleich waren sie Teil des Baumes
selbst, dokumentierten in den Jahresringen sein tatsächliches Wachstum.
Wer die runden und elliptischen Scheiben in der Wand entdeckte, dachte nicht
selten an einen Sternenhimmel.
Das Bild als eine Codierung, die wie die Sprache auf einer
gesellschaftlichen Vereinbarung beruht, hat schon die Konzeptualisten in
den sechziger Jahren beschäftigt. In "One and three chairs (etymological)"
zerlegte Joseph Kosuth 1965 die Vorstellung eines
Stuhls in drei Bestandteile: Neben dem realen Klappstuhl
hing eine Fotografie des Stuhls und ein Text mit der etymologischen Herleitung
des Wortes "chair". Um eine solche analytische Zerlegung von Sprache,
Bild und Ding geht es bei Barbara Wille nicht mehr. Sie spielt vielmehr
mit einem schillernden sowohl als auch: Etwas ist etwas und zugleich auch
nicht, ist Bild und Ding und keins von beidem ganz. Das "Astwerk"
ist Baum und auch nicht, ist Bild vom Baum und auch nicht.
Das "Plüschower Fenster" entstand 1996 im
Mecklenburgischen. Ein Stipendium hatte Barbara Wille ermöglicht, aus
dem trostlosen Berliner Winter nach Schloß Plüschow zu entfliehen.
Die Äpfel entdeckte sie durch die Obstgärten streunend und erstaunt
über die großen Mengen von Früchten, die niemand vom Baum
pflückte. Anders als "Astwerk", das mehrere Jahre in der
Wand überdauerte, löste sich das "Plüschower Fenster"
nach kurzer Zeit auf, die Apfelstücke fielen von der Wand. Zu Ende
war die Arbeit damit noch nicht, denn Barbara Wille bearbeitete das Thema
fotografisch weiter.
In ihren manipulierten Fotografien möchte sie die
unbewußten Prozesse des Sehens und Wahrnehmens erlebbar machen. Das
Mittel ist die Irritation: In "Ladon träumt", der Fotografie
vom blattlosen Apfelbaum, scheinen die Früchte unglaublich rot und
schwebend. Die Künstlerin hat jedoch die Räumlichkeit der Abbildung
durch zwei Löcher in der Bildfläche durcheinandergebracht, in
denen ihre Fingerkuppen auftauchen, gleich groß mit den Äpfeln.
Die Maßstäblichkeit funktioniert nicht mehr. Etwas ähnliches
passiert in der zweiten Fotografie. Zwischen den Apfelpunkten an der Wand,
die sich kleiner und unschärfer werdend vom Betrachter wegbewegen,
sitzen leuchtende Kugeln, die sich auf einer Bildebene parallel zum Betrachter
befinden. Das sind winzige Tröpfchen Saft, die Barbara Wille dem Foto
aufgesetzt hat.
Die theoretische, modellhafte Funktion ist nur eine Lesart
der Kunstformen von Barbara Wille. Daneben steht ihre eigentümliche
Poesie. Die organische Herkunft der Materialien läßt sie von
ihrer Zeitlichkeit und Endlichkeit erzählen. Rote Äpfel und rote
Tropfen werden zwar nicht mehr als Zeichen für etwas anderes in den
Dienst genommen, aber wir wissen noch von den Zeiten, als sie bei Adam,
Eva und Schneewittchen eine Rolle spielten. |