Miro Zahra

Vorbei ist die Zeit der blühenden Landschaften, zwischenzeitlich für eine Idylle gehalten, drägt sich allmählich das Bild einer weitausgedehnten Einöde auf, die dennoch ungeahnte Möglichkeiten bieten kann.

Wenn die Zeit als ein Raum zu erfahren ist , gibt es die Möglichkeit aus ihr hinauszutreten, oder hier und da eine Faltung oder Lücke , in der man "die Kunst, seine Kräfte entlang dieser Diagonalen zu üben, die gleichen Abstand zu Vergangenheit und Zukunft hält, um in geordneten Bewegungen vorwärts und rückwärts zu gehen, in einer Weise, die ins Unendliche verweist und doch an die Gegenwart gebunden bleibt : in ihr verankert ist"(1) zu entdecken, auf sich sebst einen Blick zu werfen, Abstand zu gewinnen, zu dem was vorher war, oder einfach in dem scheinbar verlorenen Dasein zwischen den langen Fluren und lichtdurchfluteten Räumlichkeiten sich in der "Tätigkeit des Denkens", in dem "Wohnen, in der Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft"(2 )zu üben. Die Chance, einige Zeit hier zu sein, kann immer nur ein Angebot sein, eine Einladung die nicht Jedermans Sache ist.

Denn sind wir nicht als Teil einer Struktur, als Rest von dem, das uns umgibt, vorhanden und tatsächlich existent. Die Struktur zu wechseln, ist nicht einfach. Eine Möglichkeit, ist die, den Wechsel an sich zur Struktur zu machen.

Ich trete hinaus und gehe fort. Ich setze mich in Bewegung, vielleicht habe ich sogar ein Ziel. In dem Versuch anzukommen bin ich aber gleichzeitig noch nicht da, bin dazwischen, und soll doch ein wenig bleiben.

Einen Augenblick , eine Kehrtwendung, einige Zeit ....

Die Zeit, aus der ich kam, hatte sich um mich gelegt wie eine Hülle, sie ist mein Raum gewesen, sie hat mich geprägt. Ein Aufenthalt ist nicht eine Reise, es bietet nicht den Luxus einer Flucht. Ein Aufenthalt ist ein Angebot und gleichzeitig eine Verpflichtung. Ich bin da , mit mir allein, mir gegenüber. Dieser Zustand des gleichzeitigen Außen-und-innen-seins macht mich blind, porös und durchlässig .

Transzendenz.

So erblindet bin ich sehr empfindsam geworden. Unter der Gefahr mich zu verlieren, wird meine innere Seite gespannt, sie wird zur Membran, sie reißt, die Verletzungen werden spürbar. Das ist der Punkt , da fängt es an.

Ich halte den Atem an und bin da.

Angekommen in der Zeit.

 

(1) Eva Meyer, "Faltsache", (2 )Hannah Arendt, "Zwischen Vergangenheit und Zukunft"

 

Michael Haerdter "Postmoderne Nomaden"

"Am Anfang war das Wort" - so formuliert Evangelist Johannes seine Vision vom Ursprung der Welt. Das Wort: in der griechischen Fassung des Evangeliums o logos sollte verstanden werden in seiner ursprünglichen Bedeutung als "mythos". Am Anfang: der Mythos.

Die zeitgenössische Kunstpraxis und die Entstehung von Künstlerhäusern haben mit den offenkundigen Veränderungen in unserer gegenwärtigen Welt und Zeit zu tun. Davon soll hier die Rede sein.

Wir sind alle Akteure und Opfer dieser Veränderungen. Ich sprach von Mythos, weil ich überzeugt bin, daß wir alle Bewohner unserer Mythen sind. Unserer Legenden. Australiens Aboriginals nennen sie ihre "Songs", die sie mit den Wanderungen ihrer nomadischen Vorfahren verbinden. Wir können auch von unseren Illusionen sprechen. Der Historiker Egon Friedell meinte, jedwede Gegenwart sei "eine optische Täuschung". Wie immer, unsere "mythologische" Verfassung erlaubt es uns, von der Gegenwart der Vergangenheit zu sprechen.

Eine unserer Legenden, Songs oder Illusionen ist jener berühmte "Mythos der Mitte". Doch, so beherrschend er noch zu sein scheint, wir werden uns seines schwindenden Einflusses bewußt und erkennen, daß vormals als peripher bezeichnete Qualitäten allmählich an Bedeutung gewinnen. Im kulturellen Bereich schlägt sich dies einerseits in Identitätsproblemen und in der fortschreitenden Mutation zentraler oder sogenannter Mainstream-Institutionen wie Museen oder Staatlichen Bühnen nieder, andererseits im Aufschwung alternativer kultureller Ausdrucksformen wie im nicht-institutionellen künstlerischen Schaffen, in unabhängigen Galerien, in Freier Theaterarbeit, in spontanen künstlerischen und kulturellen Projekten, in multikulturellen und multimedialen Instituten und, nicht zuletzt, in Künstlerhäusern.

Doch zurück zu unserer conditio humana im Wandel. Vor kurzem bin ich auf einen sehr treffenden Begriff aus dem englischen Sprachraum gestoßen, nämlich den von "hyphenated identities". Bindestrich-Identitäten: will sagen, daß unsere Existenz zwischen zwei (oder mehrere) Stühle gefallen ist. Daß am Ende des Milleniums viele Menschen sich in einer existentiellen Zwischenlage befinden oder, um es positiver zu sagen, daß das Leben vieler Menschen von mehr als einer Identität oder Kultur bestimmt ist, die sich in ihren Persönlichkeiten quasi am Kreuzweg begegnen. Trifft das nicht, genaugenommen, auf uns alle zu?

Das ganze seinem Ende sich zuneigende Jahrhundert mag man als eine "hyphenated", eine Bindestrich-Epoche betrachten, deren dramatische Wende- und mörderische Höhepunkte den Todeskampf einer untergehenden und die Geburtswehen einer neuen Welt signalisieren. Wir können diese Übergangsepoche als kreatives Grenzgebiet bezeichnen. Noch sind wir Zeugen unzähliger Endspiele, deren Mythos wir Samuel Beckett verdanken, doch machen sie die Bühne frei für noch unbekannte Dramen.

In der Tat sind wir Zeugen außerordentlicher Veränderungen. Man hat sie als Paradigmenwechsel oder als Advent eines neuen Kanons definiert. Es handelt sich jedoch um einen graduellen Wandel, den wahrzunehmen wir unsere Sinne schärfen müssen.

Einer der Namen für die fortschreitenden Mutationen lautet "Globalität". Weltweiter Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit; rasch zunehmende Kommunikation im grenzüberschreitenden Verkehr, im Informationsaustausch qua Telefax, Internet und World Wide Web haben MacLuhans Vision wahr werden lassen. Doch "global village" meint in erster Linie mentale Veränderung.

Im Blick auf Kunst und Kunstkritik möchte ich den amerikanischen Kunstkritiker Thomas McEvilley zitieren: "... der Globalismus der neunziger Jahre beruht auf der Einsicht, daß Kunstgeschichte, wie sie bisher verbreitet wurde, nicht mehr zu der Welt paßt, in der wir leben. Um sie anzupassen, scheint ein grundlegender Wandel der westlichen Wahrnehmungsmodi geboten. ... Westliche Kultur ... stellte das universale Ich dar, die nicht-westliche Kultur hatte das vollkommen Andere zu sein". Wir müssen lernen, fordert McEvilley, die eigene Kultur so wahrzunehmen wie wir andere Kulturen wahrnehmen, nämlich von außen. "Worauf es bei dieser Übung ankommt, ist die Relativierung jedweder Kultur, die Erkenntnis, daß sie keinen absoluten Wert darstellt, sondern nur eine von vielen Annäherungen an das Projekt der Zivilisation, das alle Menschen teilen" ("Art & Otherness - Crisis in Cultural Identity", New York 1992).

Wir erleben die allmähliche Erosion sogenannter universaler Standards - seien es religiöse Glaubensinhalte, philosophische oder nationale Überzeugungen. Weltweite fundamentalistische Bewegungen stellen ganz offensichtlich nur Rückzugsgefechte zu ihrer Verteidigung dar. Machtpolitik ist eine ihrer Waffen, aber es stehen zugleich mächtige Gefühle hinter ihnen: die Angst vor dem Verlust existentieller Gewißheiten, horror vacui angesichts einer ungewissen Zukunft... "Mythologische" Lebewesen, die wir sind, stehen wir unter dem starken Einfluß unserer Herkunft, unserer Einbildungen und Verdrängungen, auf Kosten unserer Wahrnehmung von Tatsachen.

Zu diesen Tatsachen in unserer sich stetig global öffnenden Welt scheint die rasche Zunahme an Chaos und allgemeiner Unordnung zu zählen, die eine tiefe Krise der Ideen von Ordnung, Einheit und Begrenzung offenbart, wie sie lange Zeit vorherrschten und an deren Legende wir noch immer hängen. Lineare Systeme unserer Wissenschaften werden langsam aber sicher ersetzt durch das, was als "Chaostheorie" bezeichnet wird: unser angeblich klares und berechenbares Weltbild wird zunehmend diffus; nationale Einheit und Kohärenz erweisen sich mehr und mehr als Illusion, wenn wir uns die multiethnische Realität sogar von Metropolen innerhalb der "Festung Europa" vergegenwärtigen, ganz zu schweigen von solch multikulturellen Ballungsgebieten wie New York, Sydney oder Jerusalem (bereits jeder fünfte Einwohner Londons ist ein farbiger Zeitgenosse); patriarchalischer Rationalismus befindet sich im Zustand allmählicher Auflösung...

Vassily Kandinsky hat 1927 einen Aufsatz mit dem schlichten Titel "und" veröffentlicht. Während das 19. Jahrhundert vom "Entweder - Oder" beherrscht gewesen sei - so der Künstler in diesem Aufsatz - werde das 20. Jahrhundert vom "Und" bestimmt sein. Wie Kandinsky vorhergesagt hat, lassen wir allmählich den Bereich des "Entweder - Oder" hinter uns: den Bereich gegensätzlicher Ideologien, der dualen Weltordnung, einer Welt, die eindeutig geteilt ist (um auf jenen vielgenannten Begriff zurückzukommen, den wir bereits erwähnt haben) in Zentrum und Peripherie oder in Zentren und Peripherien.

Der Bereich des "Und" wiederum ist eine durch Offenheit und Differenz geprägte Welt. Ihre Schlüsselworte sind Globalität und Mannigfaltigkeit, Ungewißheit und Ambivalenz, das Experiment von Austausch, Synthese und des eingeschlossenen Dritten. Wir werden der Vielfalt von Kulturen, Zentren und Wahrheiten gewahr, der Relativität von Werten und Werturteilen.

Der Philosoph Wolfgang Welsch bedient sich des Terminus der "Transkulturalität", um Verfassung und Wirkung heutiger Kulturen zu bezeichnen. Unser traditioneller Begriff separater Kulturen, gegründet auf ethnischer Einheitlichkeit und nationaler Einmaligkeit, wie ihn Johann Gottfried Herder im späten 18. Jahrhundert entwickelt hat, ist unhaltbar geworden. Unser Wunschdenken mag noch immer an dieser Vorstellung singulärer Kulturen hängen (obwohl sie wohl von Anfang an auf Fiktion beruhte), sie ist - wie Wolfgang Welsch darlegt - obsolet geworden, "sei es durch der Kulturen innere Komplexität oder äußere Vernetzung". In der Tat, "Kulturen sind heute im allgemeinen durch Hybridisierung gekennzeichnet" und "wir sind kulturelle Hybriden" (Wolfgang Welsch, "Transkulturalität - Die Form von Kulturen Heute").

Die künftige Welt von Kandinskys "Und" ist bewohnt von Wanderern zwischen den Kulturen, von transkulturellen Migranten, von postmodernen Nomaden. Sie mögen einwenden, daß dies schon immer der Fall war und auf die historischen Figuren des Forschungsreisenden und Entdeckers, des Eroberers und Kolonisators hinweisen; auf die Tatsache, daß das Streben nach ethnischer, nationaler, kultureller Einheit bis zum heutigen Tage die Tragödien erzwungener Migration von Millionen von Menschen zur Folge hatte und sie zu Vertriebenen, zu Zwangsumsiedlern, zu "displaced persons" gemacht hat. Sie mögen auf den städtischen "flaneur" des 19. Jahrhunderts verweisen und darauf, daß Künstler stets wanderten. Skandinavier nach Deutschland und Frankreich, Deutsche nach Italien etc. Sie mögen daran erinnern, daß andere Kulturen schon immer sehr viel genauer von Außenseitern wahrgenommen wurden und daß wir das kulturelle Erbe der Welt, ihre Erhaltung und Kenntnis weitgehend den Reisenden, Sammlern, Missionaren, ja sogar den Kolonisatoren verdanken... Und auf existentieller Ebene sind wir selbstverständlich alle homines viatores auf unserem Weg zum Tod.

Ich will die Geschichte jedoch noch ein wenig tiefer ausloten. "Seßhaftigkeit", meint Hans Magnus Enzensberger, "gehört nicht zu den genetisch fixierten Eigenschaften unserer Art ... Unsere primäre Existenz ist die von Jägern, Sammlern und Hirten". ("Die große Wanderung"). 100 000 Jahre - grob gesagt - seit homo sapiens sich auf seine "gro§e Wanderung" (möglicherweise von Afrika aus) begab, um die Erde zu erfahren, gegenüber rund 10 000 Jahren seßhaften Lebens als Bauer und Viehzüchter: man ist anzunehmen geneigt, daß die uralte genetische Erinnerung unseres einstigen Nomadenlebens für ein neues machtvolles Paradigma verantwortlich ist, für einen grundlegenden Wandel im Getriebe der Welt. (Diesem Gegenstand hat Vilém Flusser, der 1920 in einer deutsch-jüdischen Familie in Prag geboren und selbst zur Migration gezwungen wurde, einige brilliante Essays gewidmet). Bruce Chatwin, der nomadische Autor des Nomadismus, war überzeugt, "daß Nomaden der Angelpunkt der Geschichte gewesen waren, und sei es auch nur aus dem Grund, daß alle großen monotheistischen Religionen aus dem Hirtenmilieu hervorgegangen waren..." ("Traumpfade").

Der französische Schriftsteller Michel Tournier hält Robinson Crusoe für "unseren großen modernen Mythos". In seiner Neufassung der Geschichte Robinsons macht er bemerkenswerterweise den guten Wilden Freitag zur Hauptfigur: Führer und Geburtshelfer in der Entdeckung eines neuen Menschen. Freitag steht für die Dritte Welt. "Er ist der Mann aus Afrika, Indien, Lateinamerika, der zu uns kommt und an unsere Tür klopft". Im Unterschied zu seinem britischen Vorgänger und Modell kehrt Tourniers Robinson nicht heim in sein Herkunftsland, er bleibt auf seiner Insel im Pazifik, die von ihren Bewohnern in eine Sonnenstadt verwandelt wird...

In der Tat gibt es zahlreiche weitere renommierte Zeugen für den sich gegenwärtig vollziehenden Wandel. Da ist der französische Philosoph Gilles Deleuze und seine Dekonstruktion des Begriffs von "Mitte". Da ist die feministische Philosophin Rosi Braidotti - geboren in Italien, aufgewachsen in Australien, ausgebildet in Paris, in Holland lebend und arbeitend, deren Definition nomadischen Bewußtseins die Weigerung einschließt, jedwede Identität als dauerhaft zu verstehen. Da ist Trin T. Minh-ha, Filmemacherin, Essayistin und Musikerin, geboren in Vietnam, aufgewachsen in den USA, ausgebildet in Paris, auf den Philippinen, in Amerika, die in Afrika arbeitet und in Berkeley lehrt - ein beispielhaft transkulturelles Frauenleben. Und natürlich könnten viele andere hier genannt werden.

Hier verlasse ich das globale Panorama und komme zu einer Nahaufnahme der postmodernen Situation in den Künsten (wobei ich mich auf die visuellen Künste konzentriere). Das Tor der westlichen Welt wurde lange verschlossen gehalten - nicht zuletzt in den Künsten. Die künstlerische Moderne und vor allem der fälschlich so genannte modernist internationalism war lange Zeit so etwas wie ein geschlossener Club. Seine Öffnung ist ein postmodernes Phänomen. Doch hat sich der Wechsel des Kanons schon früh zu erkennen gegeben. Ich spreche von der alternativen Tradition der Moderne, von ihrer kritischen oder skeptischen Richtung, die sich - im Bereich der visuellen Künste - auf Marcel Duchamp beruft und die Umwertung aller Werte durch den Futurismus des beginnenden Jahrhunderts, die Vision einer Einheit von Leben und Kunst der Theoretiker und Macher von De Stijl und DADA einschließt, gefolgt von Fluxus, Performance Art und Happening, arte povera, konzeptueller und situativer Kunst, und von der raumgreifenden Kunst der Installationen. Im Rahmen dieser Tradition und ihrer vielfältigen Aspekte haben der Künstler und mithin das Kunstwerk eine andere Identität gewonnen.

Eremit oder Sozialarbeiter? : diese Frage zierte vor einigen Jahren das Etikett einer Ausstellung des Hamburger Kunstvereins. Der Kirchsprengel künstlerischer Einzelgänger im Streben nach transzendenter Reinheit liegt verlassen: postmoderne Künstler sind aus ihren einsamen Studios ausgezogen und auf die Marktplätze der Welt zurückgekehrt. In dieser Sphäre des Hier und Jetzt haben viele Künstler den bestimmenden Einfluß gesellschaftlicher und politischer Faktoren, menschlicher Wechselbeziehungen und Interaktionen auf die Kunst wiederentdeckt. Statt ewige Werte für den Weg ins Museum zu schaffen, praktizieren postmoderne Künstler die Kunst des Kommunizierens von Ideen und Gefühlen, nicht selten mittels provokanter Konzepte oder irritierender Installationen und Objekte. Der Meister der Form, der seinen Stil ein Leben lang verfeinert und vervollkommnet, kann zur Zeit nicht als Vorbild gelten. Das neue Modell ist ein Künstler, der jederzeit fähig ist, eine existentielle Botschaft oder Situation formal zu meistern. Eben deshalb hat Kunst heute hauptsächlich einen interventionistischen und vorläufigen Charakter. Und sie kann sich in der Tat überall ereignen: das Atelier des postmodernen Künstlers ist die Welt.

"Wanderkünstler" gehören zur großen Familie transkultureller Botschafter in einer Zeit, deren Kennzeichen Nomadismus und Globalität sind. Es liegt also in der Natur der Sache, daß die Codes der Mobilität und Temporaliät für die Entwicklung ihrer eigenen kulturellen Werkzeuge - jenseits des einstigen Mainstream - verantwortlich sind. Die postmoderne Erfindung und weltweite Verbreitung von Künstlerhäusern ist ein solches zeitgemäßes Instrument. Es entspricht dem Bedürfnis von Künstlern und Intellektuellen, die Welt und ihre vielen Umfelder und Kulturen zu erfahren; in situ zu forschen und Projekte zu realisieren; auf Zeit in kreativen Gemeinschaften zu leben und aus ihrer Möglichkeit zum Austausch von Ideen und know-how Gewinn zu ziehen. Das networking von Künstlerhäusern über nationale und kulturelle Grenzen hinweg ist ebenso Teil der postmodernen Szene wie die Grenzüberschreitung zwischen Kunst und Technologie, die bei vielen von ihnen Programm ist. Doch gibt es, darüber hinaus, eine weitere wichtige Funktion der Künstlerhäuser: das Nomadentum von Künstlern ist notwendigerweise eine konzertierte Aktion von Ortswechsel und Seßhaftigkeit mit dem Ziel, zu entdecken und zu schaffen, einerseits die Wahrnehmung und andererseits deren formale Verarbeitung zu erneuern. "Der Nomade", sagt Gilles Deleuze, "ist nicht zwangsläufig jemand, der sich bewegt: es gibt Reisen, bei denen man sich nicht bewegt, Reisen der Intensität... Nomaden sind Menschen, die das Nomadentum aufnehmen in der Absicht, am gleichen Ort zu bleiben und sich von Codes zu befreien".