Peter Morse Eine Geschichte der Paranoia

In einem Spiel von Spionen oder Poker hat man immer den Verdacht, daß es noch andere Bedeutungen gibt als die, die auf der Oberfläche zu erkennen sind. Ebenso bei psychatrischen Auffälligkeiten, subjektiv erfahren sowie auch als Objekt unter des Diagnostikers Blick. Hinter diesen Formen des Wissens verbergen sich Andeutungen von Ähnlichkeiten zwischen Dingen, von Verbindungen, von Folgerungen und Induktionen, Ursachen und korrekten wie auch falschen Interpretationen. Aber wodurch gleichen Dinge anderen Dingen? Durch formale Charakteristika wie Form und Farbe, oder sind Ähnlichkeiten auf sozialhistorische und semiotische Zusammenhänge zurückzuführen, zum Beispiel in Begriffen wie Natur, Krankheit und Domestizität? Semantische Ähnlichkeiten finden sich verkörpert als Bild: im Lateinischen ist tropus eine Redewendung, ein Gleichnis, Metapher oder Ähnliches. Bilder wohnen in der Welt der Wortspiele, Homonyme und Verbindungen. Sie sind verspielt und poetisch, nicht wissenschaftlich, sondern oft sogar etymologisch inkorrekt.1 Durch solch eine Landschaft wandert Calvinos Marco Polo in "Die unsichtbaren Städte" 2: wo Städte aus Zeichen bestehen und wo deren Erfahrung jede Erfahrung der Natur in weitere Zeichen umwandelt - Wolken werden Schiffe, Elefanten und Flaggen. Dies führt zu Unsicherheiten im Wissen, Unsicherheiten im Bezug auf Vorrang: ist es der Wald, der den Floccati Teppichen ähnelt oder umgekehrt? In der Renaissance behauptete eine philosophische Lehre, die als Neo- Platonismus bekannt ist, daß:

"...die ganze Welt, vom kleinsten bis zum größten Teil, vom bescheidensten Tier bis zu Gott, aus einer Reihe von Ähnlichkeiten und Sympathien besteht... die Welt, die sich unserem Wissen zeigt, besteht aus einer Serie von Emblemen, Spuren, Signaturen und Ähnlichkeiten, die Zeichen des Netzes der geistigen Verbindungen sind, die das ganze Gewebe der Existenz zusammenhalten. Daraus folgt die Lehre des Buches der Welt, wobei man sich die Welt wie eine Sprache vorstellt, als in sich verständlich."3

Diese Idee ist vielleicht nicht so intrigant wie sie scheint: vielleicht ist eine unsichtbare Sprache der Gegenstände in unsere Supermärkte, Second-Hand Läden, Fabriken, Häuser und Autos eingedrungen. Diese scheinbar unverwandten Gegenstände erwecken eine Art Sprache der Natur, einer Idylle oder einer paranoischen Mehrdeutigkeit, in der die Wahrheit ihrer Leben geheim und fest verwurzelt in sich selbst und in einander ist. Nur durch besessenes Sammeln, durch die Untersuchung von ausrangierten Fotos und Plastikteilen, durch die Analyse von Hafties und Papiertüten, Zeitungsausschnitten und Schwämmen, wird ihre mysteriöse Ökonomie zur Welt hin geöffnet, nur so werden wir wirklich verstehen,wofür sie sind.

(Übersetzung: Petra Kayser)

1 Hersey, George. (1988), The Lost Meaning of Classical Architecture: Speculations on Ornament from Vitruvius to

Venturi (M.I.T. Press, Cambridge, Mass). S.6-7.

2 Calvino, Italo. (1977). Die unsichtbaren Städte. (Hanser Verlag, München).

3 Hirst, Paul Q. (1985). 'Foucault and Architecture' in Local Consumption #4 (Sydney University, Sydney).

Beate Daniel

1966 geboren in Berlin; 1986 - 1993 Studium der Bildenden Kunst, HdK Berlin; 1993 Stipendiatin der Karl- Hofer- Gesellschaft; 1994 Arbeitsstipendium der KHG und des Goethe- Institutes für Budapest; 1994 Goldrauschstipendium; 1995 Postcard- Arbeitsstipendium, Melbourne; 1996 Mecklenburgischen Künstlerhauses Schloß Plüschow; 1996 Arbeitsstipendium des Senats von Berlin; 1996 Astronomie-Workshop in Farrera, Centre di Art i Natura; 1996 Stiftung Kultufonds; 1996 Arbeitsaufenthalt/ Lehrauftrag in Nykarleby, Finnland