Life is a gift I never asked for…
steht auf einer der Arbeiten von Christoph Knitter. Da kommt man ins Grübeln.
Man könnte den Satz auch umwandeln in:
Talent ist ein Geschenk, um das wir nicht gebeten haben, Es kann auch eine Bürde sein, die uns verpflichtet etwas zu tun, von dem wir eigentlich nicht wissen warum und wozu?
Die vom Talent Beschenkten, durch besondere Gabe gesegneten oder gestraften, je nach Betrachtungsweise, die die Welt mit anderen Augen sehen, und das Wahrgenommene visualisieren können, haben wir hier in der Ausstellung versammelt.
Sie sind allerdings nicht aufgrund ihrer besonderen Gabe, sondern aufgrund ihrer besonderen künstlerischen Leistung durch die Jury als Nominierte und Preisträgerin ausgewählt worden, in dieser Ausstellung ihre Werke zu präsentieren. Und gleichzeitig sind sie die Repräsentantinnen und Repräsentanten einer jungen selbsbewusst agierenden Generation, nicht nur von Künstlerinnen und Künstlern, sondern sie repräsentieren alle ihre Altersgenossinnen und Genossen in unserem Bundesland und darüber hinaus, reflektieren in ihrer Kunst ihre Träume, Ängste und Themen, die diese Generation bewegen.
Kunst ist unzertrennbarer Teil der gesellschaftlichen Prozesse, ihre Themen entspringen den aktuellen Fragestellungen, die uns alle umtreiben. Das wird sehr deutlich in den gezeigten Arbeiten, den Ergebnissen der künstlerischen Befragungen und Forschungen der Künstlerinnen und Künstler in dieser Ausstellung.
Die Arbeiten, sind sozusagen nur die Spitze des Eisberges, sie sind Zeugnisse der künstlerischen Auseinandersetzungen und stehen am Ende eines individuell bestrittenen Arbeitsprozesses und gleichzeitig stellen sie die Möglichkeit dar, zu den aufgeworfenen Themen ins Gespräch zu kommen.
Die Fragen sind existenziell: Verhältnis des Menschen zur Natur, Umgang mit digitalen Bilderfluten, das Überleben in Zeiten von Corona, Einsamkeit, Sehnsucht nach Geborgenheit, Freude an Entdeckungen im Alltäglichen, am Austausch mit den Anderen, Selbstbefragung des eigenen fremden ICH

So verschieden die Fragen sind, so verschieden sind auch die Materialien mit denen gearbeitet wird und vielfältig die Strategien, die angewendet werden. Alles ist möglich, alles wird zum künstlerischen Material und alles wird miteinander in Bezug gebracht.

Vincent Heppner ist Schauspieler, Perfomanceartist und Maler.
Angefangen hat er aber als Streetart-Künstler. Die Straße, der öffentlicher Raum war seine Bühne, wo gesellschaftskritische Kommentare zum Zeitgeschehen für jeden lesbar sind. Die symbiotische Verbindung von Sprache und Bild bleibt für ihm signifikanter Ausdruckmittel bis heute. Parallel zur Schauspielerei hat er in den letzten Jahren mit der Malerei angefangen, in die er seine Leidenschaft zur Graffitikunst implementiert. Alles ist miteinander verknüpft, in einer verblüffenden Art und Weise. Wie stehen aber Performances und Videos mit der Malerei in Beziehung? Als Schauspieler muss er den unterschiedlichen Charakteren, die er spielt, immer wieder neues Leben einhauchen. Bilder auf der Bühne zu erfinden und Bilder in der Malerei zu gestalten, verbinden dies miteinander. Sowohl die literarischen Stücke als auch die Reflexionen über das alltägliche Leben, mit seinen Geraden und Tiefen werden nicht illustriert, sondern es entstehen verinnerlichte, komprimierte Bildwelten, an denen wir teilhaben können.

Bei Sarah Fischer entspringen die gegenständlichen Motive und Landschaften der realen Welt, dem Alltäglichen und Bekannten. In den Verbindungen, die sie auf dem Papier eingehen, verlassen sie diese jedoch und umschreiben einen surrealen Kosmos voller Fragen, die drängender und aktueller nicht sein könnten.
„In meinen Arbeiten reflektiere ich über den Umgang mit den gemeinschaftlichen wie auch individuellen Möglichkeiten unserer Gesellschaft, thematisiere das Ringen um Atempausen beim Netzwerken und dem Bemessen der eigenen Freiheit. Aktuelle Themen wie Flucht, Klimaerwärmung, Digitalisierung und der Umgang in der Gesellschaft miteinander finden […] Eingang in mein künstlerisches Schaffen“, so die Künstlerin. Sie verhandelt gesellschaftspolitische Themen in den komplexen Verbindungen und Beziehungsgeflechten ihrer Motive. Was auf den ersten Blick mit charmantem Witz vorgetragen wird, offenbart bei längerer Betrachtung melancholische und abgründige Züge; ein Balanceakt auf einem schmalen Grat zwischen Traum und Albtraum.

Johanna Herrmann versteht ihre Arbeiten als tastende Versuchsanordnungen. Jede Entwicklungsstufe in der Umsetzung wird transparent wiedergegeben und bleibt sichtbar. Ihre Lust am Spiel und Experimentieren tritt in den teils improvisierten und zerbrechlich wirkenden Konstruktionen sowie in den „automatisierten“ Prozessen offen zu Tage. Bewegung stellt ein zentrales Element in den Werken der Künstlerin dar, welches sie mit forschendem als auch spielerischem Interesse einsetzt und untersucht. Für ihre Arbeit sw 29 km/h, die bei uns präsentiert wird, errichtete sie auf einem Acker, hölzerne Latten-Konstruktionen, die über einer am Boden liegenden Leinwand aufgebaut wurden. An diesen pendelten diverse mit Haken und Schnüren befestigte Mal- und Zeichenutensilien. Vom Wind in Schwingung versetzt, bewegten sie sich über die Leinwand und hinterließen Spuren. Mit der Zeit entstanden Flächen unterschiedlicher Farbe und Form. Diesen Prozess hielt die Künstlerin in Foto- und Videoarbeiten fest. Dabei stellt die Installation als Malmaschine Objekt, Motiv und Medium zugleich dar. In der Konzeption entscheidet die Künstlerin über den Ort, den Aufbau, die Materialien und den Zeitpunkt der Ausführung, überlässt den eigentlichen Malprozess jedoch dem Zufall beziehungsweise dem Wind. Was als Ergebnis später auf der Leinwand zu sehen sein wird, gibt sie aus der Hand. Als Prozess mit offenem Ausgang ist die Möglichkeit des Scheiterns immer präsent.
Johanna Herrmann setzt sich in diesem Verfahren mit ihrer Rolle als Künstlerin und ihrem Verhältnis zum eigenen Werk auseinander. Sie spielt mit Erwartungshaltungen und geformten Vorstellungen. Indem sie auf Steuerung und Einflussnahme verzichtet und den Zufall in die Ausführung einbezieht, wird sie gewissermaßen selbst zur Beobachtenden.

Der Künstler Christoph Knitter bewegt sich frei zwischen den Genres Zeichnung, Druckgrafik, Malerei, Installation, Performance sowie Aktionskunst im öffentlichen Raum. Seine Installationen stellen künstliche Räume der Erinnerung dar. Sie verweisen auf Traditionen, Geschichten und Muster, die sich über Generationen hinweg überliefert und Schicht um Schicht überlagert haben. Ihre Präsenz wird in den Gegenständen greifbar. Man begegnet Bekanntem und Vertrautem, vielleicht aus der eigenen Kindheit, erinnert sich an Erlebtes, und verharrt dennoch in einer Distanz zu dem Gesehenen – hin und hergerissen zwischen Faszination und Widerstreben.
Neben den Installationen machen vor allem Zeichnungen, Malereien und Druckgrafiken das Werk von Christoph Knitter aus. Die Zeichnungen, die in der Zeit der Pandemie entstanden sind, stehen wie Sinnbilder für eine Zeit, in der Begegnungen mit anderen rar waren, sich das Gefühl des Eingeschlossen-seins bei vielen Menschen einstellte und das Leben in „pandemischen Mustern“ verlief. Neben der künstlerischen Arbeit, die in Ausstellungsräumen präsentiert wird, zieht es Christoph Knitter in den öffentlichen Raum. Mit Aktionen und Performances im Stadtraum, die er häufig im Kollektiv mit anderen Kolleginnen und Kollegen umsetzt, sucht er nach Unmittelbarkeit der Wahrnehmung. Plakate an Litfaßsäulen erregen Aufmerksamkeit und transportieren einfache wie auch rätselhafte Botschaften. Sticker verbreiten sich über Ländergrenzen hinweg. Beiläufig am Laternenmast oder überraschend an einem unerwarteten Ort ermöglicht Christoph Knitter mit seinen Arbeiten im öffentlichen Raum eine andere Art der Reflexion und die Grenzen zwischen Kunst und Alltag lösen sich auf.

Die Kunst von Niklas Washausen führt in die Welt von medialen und digitalen Räumen, deren „Wahrnehmungs- und Umgangswelten“ vom Künstler semantisch, performativ und linguistisch untersucht werden. Im Austausch mit eigenen Erfahrungswelten reflektiert er mit Humor und tiefer Ernsthaftigkeit über existentielle Fragen. Ausgangspunkt einer Serie von Polaroid-Fotografien wurden Bildstörungen, erzeugt durch eine defekte Kamera. Bewusst oder durch Zufall herbeigeführte Manipulationen fungieren als kreative Bildgeneratoren mit überraschenden Bildwirkungen. Ästhetische und gesellschaftliche Wirkungen visueller Bildstörungen untersucht er bereits in seiner Abschlussarbeit an der Universität. Fehler im System künstlerisch zu nutzen, bleibt sein Thema bis heute. Ein Wechselspiel von Ordnung und Chaos wird zur „Allegorie des dichotomen Denkens“, so der Künstler. Einige Polaroids werden vergrößert und auf Alu Dibond gezogen. Die Verfremdungen intensivieren Bildgestaltungsgeneratoren. Künstliche Intelligenz ermöglicht, nach bestimmten Algorithmen zu filtern. Die Prozessverläufe von viralen Bildphänomenen definiert der Künstler mit folgenden Begriffen: wird kontextualisiert / erlischt /wird entwertet / mystifiziert / reininterpretiert / reduziert / banalisiert / zensiert / isoliert und mechanisiert. Sie beschreiben Gestaltungsprinzipien, die auch für die Methodenforschung die Grundlage bilden. So bedient sich Niklas Washausen der künstlerischen Strategie, die man heutzutage Artistic research nennt, deutsch – künstlerische Forschung.
Die Grenzen zwischen Realität und Virtualität sind hierbei fließend und lassen uns hinter die Kulissen des schönen Scheins schauen, von dem wir so oft verführt werden.

Karolin Schwab, die Preisträgerin:
Wenn Karolin Schwaab den Raum und die Möglichkeiten seiner Wahrnehmung künstlerisch untersucht, wird der Raum nicht in seiner Begrenzung sinnlich erfahrbar, sondern eher in seiner unendlichen Ausdehnung, in seiner fließenden Materialität und Flüchtigkeit beschrieben. Dass die Künstlerin am Meer aufgewachsen ist, spiegelt sich in vielen ihrer Arbeiten, seien es Installationen, Skulpturen oder Fotografien. Es sind die immer wiederkehrenden Grundformen, wie der Kreis oder das Horizontale, die auf die Verbundenheit mit der Natur und dem Land ihrer Kindheit und Jugend in ihrem Werk verweisen. Grenzen zwischen Skulptur, Installation und Malerei sind dabei fließend.
Die stetige Suche nach der Nähe zur Natur, die Begeisterung für natürliche Phänomene und ihre Prozesshaftigkeit, das elementare und direkte Erleben der Landschaft, fließen als Ideen und Haltung in die künstlerischen Strategien und Konzepte von Karolin Schwab ein. Eine Reduktion auf das Wesentliche sowie ein hoher Grad von Abstraktion lassen das Erhabene in ihrer Kunst sinnlich erlebbar werden.
Ihr Atelier ist das Labor, in dem sie in unterschiedlichsten gestalterischen Experimenten die Belastbarkeit von Material, seine ästhetische Beschaffenheit, die Beziehungen von Objekten zueinander und zum umgebenden Raum ertastet und erprobt.
Die Realisation und die Vollendung des vorher konzeptionell Erdachten und im Studio Erprobten erfolgt jedoch nicht nur in Innenräumen der Galerien oder Museen sondern sehr oft auf der ganz großen Bühne: Mitten in der Natur, eingebunden in der Landschaft. Hier kommt alles, was bisher abstrakt erdacht und entworfen wurde, zusammen und kann sich in einer für das Publikum sinnlich erfahrbaren Mehrdimensionalität und Vielschichtigkeit entfalten.
„In meinen Arbeiten schaffe ich die Verbindung zwischen äußerer und innerer Landschaft – dem was wir sehen und dem was wir fühlen. Wind, Wellen und Wolken sind integrale Bestandteile meiner Skulpturen und Installationen, sowie der Betrachter selbst. Durch sie werden die minimalistischen Formen beweglich und mit Bedeutung gefüllt. Meine Werke fokussieren den Blick des Betrachters auf die sanften Bewegungen und den Wandel, der allen Dingen innewohnt und suchen gleichzeitig nach einem Moment der Stille.“

Die Zuwendung zur Natur und die Befragung des Zustandes der Kommunikation mit ihr wird in den letzten Arbeiten noch deutlicher und radikaler. So verschmelzen die Skulpturen immer mehr mit dem natürlichen Umfeld und werden Eins mit ihm. Wie z.B. in „The Clouds Song“, wo die trichterförmigen Gebilde Sender und Empfänger zugleich sind. In „Looking Glas“, eine Installation aus dem Jahr 2022, kann man den Spiegel und die Umkehrung der Perspektive symbolisch für die uralte Sehnsucht des Menschen nach dem Geborgensein in der Natur, nach dem zurück-ins-Paradies, wohin uns der Zugang seit Ewigkeiten versperrt worden ist, deuten.

Farbige Spiegel, Kreise als bewegliche Elemente waren auch Basis für die Installation der Künstlerin, die sie im Speziellen für die Ausstellung im Schloss Plüschow entwickelt hat. Hier in diesem Beitrag wird, die für die Künstlerin so typische Arbeitsweise sichtbar, die auch die Jury so einhellig überzeugt hat.
Die Reduktion auf das Wesentliche, das großartige Zusammenwirken von Form, Farbe und Materialität, das grandiose Zusammenwirken mit der räumlich vorgegebenen Situation, mit der Gabe dem spielerisch leichten und poetischem Ausdruck genügend Raum zu lassen. Die Voraussetzung für so ein überzeugendes Ergebnis ist Mut zur Klarheit und in gewisser Art und Weise auch Mut und Entschlossenheit für die Zurücknahme des Selbst, das Zurückstellen eigener Emotion, die umso mehr dann beim Betrachten und Erleben in uns als Publikum aufleben kann. Wir werden Teil des Kunstwerkes, in der Spiegelung, das Drinnen und Draußen durchdringt sich, das lichtdurchflutete Haus und seine wunderbare Architektur werden in seiner Wirkung noch potenziert. Und das alles ist kühn und radikal von der Künstlerin kalkuliert worden.
Schapeau!
Und herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis!